Magazinrundschau - Archiv

Persuasion - Substack - Yascha Mounk

7 Presseschau-Absätze

Magazinrundschau vom 30.04.2024 - Persuasion - Substack, Yascha Mounk

Der ghanaisch-amerikanische Philosoph Kwame Anthony Appiah hat schon im Jahr 2007 ein Buch über Kosmopolitismus geschrieben, in dem er der aufkommenden Identitätspolitik eine Haltung entgegensetzte, die Differenzen zwar anerkennt, aber nicht um den Preis gegenseitigen Ausschlusses. Daran hält er auch im Gespräch mit Yascha Mounk fest und begründet es am Beispiel der Religion: "Wenn Sie ein gläubiger Katholik ... dann gibt das Ihrem Leben einen Sinn. Aber wenn Sie glauben, dass Ihre amerikanischen katholischen Freunde alle einer Meinung sind, was die Homo-Ehe oder die Abtreibung oder etwas Ähnliches angeht, dann täuschen Sie sich, obwohl wir wissen, wie die Kirche in diesen Fragen denkt. Für eine reiche Person aus der oberen Mittelschicht wie mich ist es vielleicht einfach zu sagen, aber ich denke, dass die Menschen ihre Identitäten vielleicht ein bisschen leichter nehmen sollten, als sie es zur Zeit tun, dass sie erkennen sollten, dass sie nicht für alle Schwarzen oder alle Trans-Menschen oder alle Cis-Menschen oder alle Männer oder Schwulen sprechen können. Und dass diese Identitäten uns zwar Anhaltspunkte dafür geben, wie die Menschen mit uns umgehen werden, dass es aber nur lose Anhaltspunkte sind, und je mehr wir diese Menschen kennen, desto weniger nützlich sind sie. Ich denke, wir sollten nicht dem essenzialistischen Grundgedanken verfallen, dass alle Personen mit der Identität 'X' in allen wichtigen menschlichen Aspekten, auf die es ankommt, grundlegend gleich sind. Das ist nicht der Fall - Männer sind alle unterschiedlich. Frauen sind alle verschieden. Trans-Menschen sind nicht alle gleich."

Magazinrundschau vom 19.03.2024 - Persuasion - Substack, Yascha Mounk

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Coleman Hughes argumentiert im Gespräch mit Yascha Mounk genau andersherum als Hannah-Jones (siehe oben). Selbstverständlich gibt es Rassismus, sagt er, und es gibt auch kulturelle Differenzen. Sie müssen anerkannt werden, aber sie dürfen nicht das Fundament einer Gesellschaft bilden. "Meine Sicht kommt dem sehr nahe, was Martin Luther King in 'Why We Can't Wait' (Warum wir nicht warten können) zum Ausdruck gebracht hat: Ja, wir müssen uns mit dem Erbe der Sklaverei auseinandersetzen, ja, wir müssen etwas gegen die Rassenungleichheit unternehmen. Er schlug etwas vor, das er 'Bill of Rights for the Disadvantaged' nannte, ein breit angelegtes, klassenbasiertes Programm zur Bekämpfung der Armut, das sich sowohl an die weißen als auch an die schwarzen Armen gerichtet hätte, und das nur deshalb überproportional Schwarzen geholfen hätte, weil diese überproportional arm sind, aber nicht auf der Grundlage der Rasse als solcher ausgerichtet gewesen wäre."

Magazinrundschau vom 06.02.2024 - Persuasion - Substack, Yascha Mounk

Mounk unterhält sich mit der Philosophin Martha Nussbaum über einige der zentralen moralphilosophischen Probleme der Gegenwart. Es geht um Abtreibung, Tierrechte und Klimawandel; aber auch darum, wie es möglich ist, über politische Gräben hinweg miteinander ins Gespräch zu kommen: "Wenn man - das ist ein notwendiger Ausgangspunkt - mit der basalen Idee beginnt, dass wir mit anderen Leuten, die anders sind als wir selbst, auf der Grundlage gerechter Zusammenarbeit zusammenleben will, dann kommt man mit vielen Themen gut zurecht. An unserem Jura-Department organisiere ich die sogenannten Nussbaum-Mittagessen. Viele Leute wählen Kurse, die zu ihren politischen Ansichten passen, deshalb habe ich nicht viele konservative Studenten in meinen Kursen. Aber wenn sie sich bei den Mittagessen anmelden, die ich normalerweise gemeinsam mit einem konservativeren Kollegen gemeinsam durchführe, dann können sie 90 Minuten lang mit Menschen reden, deren Meinungen sie nicht teilen. Ich habe herausgefunden, dass das gut funktioniert und dass wir uns dadurch gegenseitig besser verstehen. Wir dachten allerdings, dass das Thema Abtreibung die Nussbaum-Mittagessen beenden könnte. (...) Aber als wir es dann ausprobiert haben, stellte sich heraus, dass nicht alle Katholiken gleicher Meinung sind. Natürlich wussten einige, dass Aquinos der Ansicht war, der Fötus werde erst kurz vor der Geburt zum Mensch. Und so diskutierten wir das Thema ergebnisoffen."

Magazinrundschau vom 01.08.2023 - Persuasion - Substack, Yascha Mounk

Immer mehr Linke fühlen sich vom Wokeism abgestoßen - sind sie nicht mehr links? Doch, sagt die amerikanische Philosophin Susan Neiman in einem lesenswerten Gespräch mit Yascha Mounk über ihr demnächst auch auf Deutsch erscheinendem Buch "Links ist nicht Woke". Doch gehe es in woken Kreisen nun mehr um den Standpunkt, von welchem eine Meinung aus geäußert wird und nicht um das Argument selbst. Aber ohne politischen Universalismus geht es nicht, beharrt Neiman. Ganz abgesehen davon, dass es universalistische Prinzipien in vielen Kulturen auch außerhalb des Westens gibt: "Was mich an dieser postkolonialen Kritik an der Aufklärung besonders ärgert, ist, dass sie eigentlich aus der Aufklärung selbst kommt. Sie wird normalerweise nicht von Leuten geäußert, die mehr als 10 Wörter in einem Wikipedia-Artikel über die Aufklärung gelesen haben, aber die Idee, dass Europäer die Welt auch aus anderen als europäischen Perspektiven betrachten sollten, stammt direkt aus der Aufklärung, wie Sie sicher wissen. Die Aufklärung übernahm, beginnend mit Montesquieu, die Trope, Europa aus der Perspektive fiktiver Perser, Chinesen, indigener südamerikanischer Priester, Tahitianer und so weiter zu kritisieren. Der gesamte Vorwurf des Eurozentrismus ist eine Erfindung der Aufklärung. Die Denker der Aufklärung waren unglaublich interessiert an Berichten und Ideen, die aus außereuropäischen Ländern kamen, insbesondere über Dinge wie das Patriarchat, patriarchalische Ehegesetze und Eigentumsverhältnisse, und die Behandlung von Frauen, die in anderen Kulturen anders war. Das Merkwürdige daran ist, dass diese Denker tatsächlich etwas riskierten, in einigen Fällen sogar ihr Leben. Der Philosoph Christian Wolff, der großen Einfluss auf Immanuel Kant hatte, auch wenn nur wenige Menschen von ihm gehört haben, studierte Konfuzius und Mencius und hielt eine Vorlesung, in der er argumentierte, dass die Chinesen ein perfektes Moralsystem hatten, auch wenn sie keine Christen waren. Und dafür wurde ihm befohlen, nicht nur seine Stelle an der Universität, sondern den gesamten Staat Preußen innerhalb von 48 Stunden zu verlassen, oder er würde hingerichtet. Das war kein Twitter-Sturm, ok, diese Leute haben sich für einen echten Universalismus eingesetzt. Und der steht überall in den Texten der Aufklärung, falls sich jemand die Mühe macht, sie zu lesen."

Magazinrundschau vom 23.05.2023 - Persuasion - Substack, Yascha Mounk

Nicht Misserfolg macht Populisten groß, sondern Erfolg, meint der venezolanische Journalist Francisco Toro im Substack-Newsletter "Persuasion". Und der erfolgreichste Populist ist einer, der sein Land nicht spaltet, sondern eint. Singapurs Lee Kuan Yew hat das Textbuch für diese Rolle geschrieben: Er ist autoritär, aber gleichzeitig "so erfolgreich beim Aufbau einer stabilen, wohlhabenden Gesellschaft, dass seine alles andere als makellose Menschenrechtsbilanz aus der Geschichtsschreibung herausgespült wurde und heute eher eine Fußnote auf Seite 4 als eine Schlagzeile ist." Ob El Salvadors junger Präsident Nayib Bukele so erfolgreich sein kann? Seine Zustimmungsrate im Land liegt bei über 90 Prozent, so Toro, seit er zehntausende Mitglieder der ultrabrutalen Gangs, die das Land terrorisiert haben, eingesperrt hat. Nach Menschenrechten und Demokratie mögen die Salvadorianer da nicht mehr fragen: "Normale Menschen, die jahrelang in Angst vor den Maras gelebt hatten, freuten sich über die Abrechnung. Plötzlich verlagerte sich das Leben nach draußen. Nachbarschaftsparks und Fußballplätze, die jahrzehntelang brach gelegen hatten, waren plötzlich von Kindern aus der Nachbarschaft bevölkert. Die Salvadorianer fühlten sich auf ihren Straßen und in ihren Gemeinden so frei, wie es schon lange nicht mehr möglich gewesen war. Wie könnte sich ein Demokrat nicht unwohl fühlen, wenn er eine Politik tadelt, die im Grunde jeder im Land unterstützt? ... In einem Land nach dem anderen wird der Bukelismo zur Alternative für demokratische Systeme, die als zu sklerotisch gelten, um reformiert zu werden. Guatemalas neuer Präsident gibt sich schon jetzt eindeutig bukelisch und schwört, den Erfolg El Salvadors gegen seine eigenen Maras zu wiederholen. Limas Bürgermeister Rafael López Aliaga plant, eine explizit bukelanische Agenda zu verabschieden. Santiago Cúneo, einer der populärsten Fernsehmoderatoren Argentiniens, kündigte gerade seine Präsidentschaftskandidatur an und versprach, 'den Schritten Nayib Bukele's in Argentinien zu folgen'." Demokraten müssten sich gewaltig anstrengen, um die Menschen davon zu überzeugen, dass auch eine Demokratie sie schützen kann, denkt sich Toro.

Yascha Mounk kritisiert scharf die Ausladung russischer Dissidenten vom Pen-Festival "World Voices" (Masha Gessen ist wegen dieses Vorgangs aus dem Vorstand des Pen America ausgetreten, unser Resümee). Man stelle sich vor, Thomas Mann, Bert Brecht, Albert Einstein oder Marlene Dietrich hätte in Amerika während des Zweiten Weltkriegs die Nazis nicht kritisieren dürfen, weil sie Deutsche waren. "Der moralische Rang eines Menschen wird nicht durch seine Nationalität definiert", erinnert Monk. "Zwei Dinge machen diese Episode in meinen Augen besonders bemerkenswert, denn beide zeigen, wie tief der Verfall liberaler Prinzipien und die Angst vor moralischer Verunreinigung inzwischen in den Mainstream eingedrungen sind. Das erste ist, dass eine Organisation von Schriftstellern sich nicht in der Lage sah, die Unterscheidung zwischen einer Person und der Nation, aus der sie stammt, aufrechtzuerhalten. Wer wird den Vorrang des Individuums und seines Gewissens vor dem Ruf nach zugeschriebener Identität und Kollektivschuld verteidigen, wenn eine Organisation von Schriftstellern - die die ersten sein sollten, die die Menschheit in ihrer ganzen glorreichen Komplexität anerkennen - dazu nicht in der Lage ist? Zweitens sind die Personen, die diese Entscheidung getroffen haben, wohl kaum Mitglieder der illiberalen Linken (oder, was das betrifft, der illiberalen Rechten). Suzanne Nossel, die Geschäftsführerin der Organisation, setzt sich grundsätzlich für die Redefreiheit ein. Ayad Akhtar, der Präsident des PEN und ein wunderbar nuancierter Romancier, hatte sogar den Mut, sich auf der Gala der Organisation im letzten Jahr subtil gegen linke Formen der Stempelkultur zu wehren. Ich kenne und respektiere beide, und ich kann mir nur ansatzweise vorstellen, unter welchem Druck sie in den letzten Tagen gestanden haben müssen. Aber Prinzipien sind nur dann wichtig, wenn wir in der Lage sind, sie auch zu ehren, wenn es schwierig ist, ihnen gerecht zu werden".

Magazinrundschau vom 15.06.2021 - Persuasion - Substack, Yascha Mounk

In Yasha Mounks Magazin Persuasion erzählt der Venezolaner Carlos Hernández, wie er über die Grenze nach Kolumbien floh, in der Hoffnung, wieder etwas wie ein Leben zu haben. Nachdem das Militär ihm bei Kontrollen fast alles Geld abgeknöpft hat und er auch noch von einem Taschendieb beklaut wurde, der seinen Pass mitgehen ließ, legt er die letzten Kilometer zur Grenze mit einem Schleuser auf dem Rücksitz eines Motorrads zurück. Auch hier werden sie immer wieder angehalten: "Zwei kleine Kinder, beide spindeldürr, haben einen umgestürzten Baumstamm über das einzige befahrbare Stück Feldweg gelegt. Es ist eine 'Mautstelle' und der x-te Shakedown auf meiner Reise. An den kurzen schwarzen Haaren und den runden Gesichtern kann man erkennen, dass es sich um Wayuus handelt, eine indigene Gruppe, die in dieser Gegend schon lebte, bevor es so etwas wie Kolumbien oder Venezuela gab, geschweige denn eine Grenze zwischen ihnen. ... Sie sagen etwas zu dem Fahrradfahrer in Wayuu, einer Sprache, die ich nicht verstehe. Er reicht ihnen ein paar kolumbianische Peso-Münzen. Ein Kind stößt ein kleines 'hehe' aus, als es die Münzen betrachtet, während das andere losrennt, um den Baumstamm wegzuschleppen, damit der Feldweg für uns frei wird. ... Die Häuser hier verraten eine tiefe Armut, wie ich sie in Puerto Ordaz selten gesehen habe. Fadenscheinige Lehmhütten, rohe Stöcke und einfache Zinkblechhütten säumen die Trochas. Die Wayuus entlang dieses Grenzabschnitts scheinen von allen verlassen zu sein. Es gibt keine Schulen, keine Straßen, keine Stromleitungen, nichts hier draußen. Diese Menschen haben hier schon gelebt, bevor Kolumbus auftauchte. Sie sollten zwei Länder haben, die sich um sie kümmern, aber sie haben keines."

Magazinrundschau vom 01.12.2020 - Persuasion - Substack, Yascha Mounk

Persuasion ist ein Magazin oder eher ein Newsletter, der von Yascha Mounk gegründet wurde, um eine liberale Gegenposition zu den dominierenden Social-Justice-Theorien zu ermöglichen (mehr hier). Der Musiker und Aktivist John Wood Jr. legt einen sehr lesenswerten Essay über das gewaltlose Erbe Martin Luther Kings vor, das im Zeichen von "Black Lives Matter" und der Social-Justice-Bewegung heute in Vergessenheit gerate: "Trotz des Kults um Kings Andenken sind seine Grundsätze aus dem Mainstream des amerikanischen Diskurses verschwunden." King war es aber, so Wood, der Veränderung brachte: gewaltfrei und universalistisch musste er schon argumentieren, weil er ein Bündnis brauchte, um Mehrheiten zu erreichen. Nur so sei der Aufstieg der schwarzen amerikanischen Mittelklasse möglich geworden: "Die Breite dieser Unterstützung stand im Gegensatz zu den aggressiveren Bewegungen, die mit seinem Ansatz konkurrierten. Und doch sind es diese Bewegungen, aus denen sich der heutige Social-Justice-Aktivismus herleitet. Das schrille Echo von 'Black Power' klingt im heutigen Aktivismus laut nach. Malcolm X und Stokely Carmichael werden als die Rollenmodelle im heutigen Kampf um die Freiheit der Schwarzen hochgehalten. Angela Davis bleibt eine Schutzpatronin der heutigen Social-Justice-Arbeit." Seinen Widerspruch artikuliert Wood mit einem Satz des Publizisten Thomas Chatterton-Williams: "Ich kann nicht nachvollziehen, wie ein so scharfer Fokus auf Differenzen sie jemals überwinden soll."