Lawrence Freedman
zeichnet die Entwicklung des
Ukrainekonflikts aus Sicht
Putins nach. Putin hat sich so sehr seinem eigenen Radikalismus verschrieben, argumentiert Freedman, dass es für ihn kein Zurück mehr geben kann. Gleichzeitig wird die innenpolitische Lage schwieriger, insbesondere nach der IS-Attacke auf eine Konzerthalle bei Moskau. Die Reaktion des Regimes, das entgegen aller Evidenz versuchte, die Ukraine mit dem Angriff in Verbindung zu bringen, war alles andere als souverän. Das zunehmend irrationale Verhalten Putins kann auch nicht bloß auf demagogische Taktik reduziert werden: "Für den Kreml sind Lug und Betrug Mittel zum Zweck einer höheren Wahrheit. Sie helfen dabei, die Botschaft zu verbreiten, dass alle Feinde Russlands unter einer Decke stecken, und dass sich eine
Nazi-Islamismus-Globalismus-Satanismus-Achse gegen die russische Zivilisation verschworen hat. Wenn das so ist, dann muss alles getan werden, um die Menschen vor der Gefahr zu warnen und sie für den Abwehrkampf zu mobilisieren. Die Ukraine muss einfach von Nazis angeführt werden, ganz egal was die tatsächlichen Hintergründe und Aussagen der entsprechenden Politiker sind, weil jeder, der gegen Russland kämpft, ein Nazi ist, und weil Russland immer dann am besten ist, wenn es gegen Nazis kämpft, wie zwischen 1941 und 1945. Mit Blick auf Putins Statement zum Angriff auf die Konzerthalle, in dem er die Ukraine beschuldigt, schlägt der Historiker
Tim Snyder folgende Erklärung vor: 'Das ist nicht mehr der wendige post-truth-Putin, der in der Lage ist, wenn nötig augenzwinkernd eine Lüge durch eine andere auszutauschen. Dies ist
ein Putin, der tatsächlich glaubt, was er sagt - oder der zumindest nicht mehr fähig ist, kreativ auf die Ereignisse in der Welt zu reagieren.'"
Lisa Klaassen
beschäftigt sich währenddessen mit einem wenig kommentierten Aspekt russischer Machtpolitik: den teilweise durchaus erfolgreichen Versuchen, in Afrika an Einfluss zu gewinnen. Eine Schlüsselrolle kommt dabei ausgerechnet der berüchtigten
Gruppe Wagner zu, deren ehemaliger Anführer
Jewgeni Wiktorowitsch Prigoschin letztes Jahr den Aufstand gegen Putin geprobt hatte und bei einem Flugzeugabsturz starb. Inzwischen heißt die Gruppe nicht mehr Wagner, sondern
Afrikakorps, wird von Prigoschins Sohn
Pawel Jewgenjewitsch geleitet und unterstützt eine Reihe von Militärdiktaturen in Zentral- und Westafrika. "Die Entwicklung des Afrikakorps verfolgt zwei strategische Ziele. Zum einen geht es darum, einen Aufstand des jüngeren Prigoschin zu verhindern, zum anderen darum, Russland freie Bahn für seine Sicherheitspolitik in Afrika zu verschaffen. Der neue Name verschafft der Gruppe ein äußerst notwendiges Gegenmittel gegen die Folgen der Untaten, die die Gruppe Wagner im Namen der 'Anti-Terror Einsätze' der Gruppe beging. Aufgrund ihrer Treue zur
Maxime Stalins, derzufolge die Menschen das Problem sind, wurde die Gruppe, laut einem Bericht des Economist, der Daten der NGO Armed Conflict Location and Event Data Project aufarbeitete, angeklagt, an Massakern beteiligt gewesen zu sein, die seit 2017 mehr als 1800 afrikanischen Zivilisten das Leben kosteten. Drei russische Zivilisten, die zu den vom Kreml unterstützten Wagner-Aktivitäten in Afrika recherchierten, wurden ermordet. Allein in
Mali hat sich die Gewalt gegen Zivilisten verdreifacht, seitdem Wagner begonnen hat, das
Vakuum zu füllen, das Frankreich hinterlassen hat."