Magazinrundschau - Archiv

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288 Presseschau-Absätze - Seite 1 von 29

Magazinrundschau vom 07.05.2024 - HVG

Die Publizistin Boróka Parászka schreibt über die Umgestaltung öffentlich-rechtlichen Medien in der Slowakei (mehr hier) nach dem Wahlsieg des Fico-Lagers bei den Präsidentschaftswahlen, die sie an Ungarn nach 2010 erinnern. "Es hat viele Versuche gegeben, sich gegen die Umgestaltung zu wehren. Die slowakische Presse lässt, wie schon zum Zeitpunkt des Todes von Ján Kuciak, nicht locker: Die Mitarbeiter der öffentlichen Medien haben eine dramatische Serie von Protesten gestartet. Seit der Wende hat man in den mittel- und osteuropäischen Gesellschaften jedoch eine Lektion nur schwer gelernt. Ohne die Befreiung der öffentlichen Medien kann es keinen Regimewechsel geben. Als privat finanziertes Medium mit öffentlichem Auftrag beschreibt sich ein Medienunternehmen in Ungarn, das außerordentliche Kräfte mobilisiert, und eine faire und umfassende Berichterstattung verspricht. Es erhebt große Ansprüche und hegt unrealistische Illusionen. Wo das Gesetz keine (Medien-)Freiheit garantiert, gibt es keine (Medien-)Freiheit. Nicht durch Mikrospenden, nicht durch Stiftungsgeldern, durch gar nichts. Der Zusammenbruch der öffentlich-rechtlichen Medien in Ungarn hat uns dies lehrreich vor Augen geführt. Und wenn wir das vierzehn Jahre lang nicht verstanden haben, können wir jetzt - Wiederholung ist die Mutter der Erkenntnis - die Verschlechterung im Drama der slowakischen Medien beobachten. Eine Verdunkelung nach Fahrplan.")

Magazinrundschau vom 30.04.2024 - HVG

Der Filmregisseur und Hochschullehrer (UCLA, Kalifornien, USA) Gyula Gazdag spricht im Interview mit Rita Szentgyörgyi u.a. über die Gründe, warum er in Ungarn seit geraumer Zeit keine Film mehr gedreht hat: "Ich habe (nach der Wende) an Drehbüchern gearbeitet, ich habe versucht, Filme zu machen, aber sie wurden nie gedreht. Ich würde auch gerne die Gründe dafür erfahren. Vielleicht gehört die Wirtschaftskrise von 2008 ebenso dazu wie die Entstehung und der anschließende Zusammenbruch der ungarischen Filmförderung. Ich glaube, dass die Finanzierung der Filmproduktion in Ungarn im Moment an einem Punkt angelangt ist, an dem sie nicht einmal mehr versucht, demokratisch zu sein. Soweit ich sehen kann, wird der Film weder als Industrie- noch als Kunstform betrachtet, sondern lediglich als Propagandainstrument."

Magazinrundschau vom 23.04.2024 - HVG

Die Publizistin Boróka Parászka kommentiert die Enttarnung der außenpolitischen Rhetorik (und somit auch das Scheitern der Außenpolitik) der ungarischen Regierung nach dem jüngsten Angriff Irans auf Israel. "Es gibt keine 'Pro-Kriegs'-Partei, lediglich im privaten Waffenarsenal der putinistischen ungarischen Regierungspropaganda. Dort gibt es sie sehr wohl, denn das ist es, womit Orbán-Ungarn seinen Lebensunterhalt verdient: eine Hälfte der Gesellschaft zu spalten und zu stigmatisieren, sie mit ständigen Etiketten zu brandmarken, sie ihrer eigenen Botschaft zu berauben, jede sinnvolle gesellschaftliche Debatte zu untergraben und dann alle anderen auf dem so geschaffenen politischen Schlachtfeld auf demütigende Weise zu besiegen und zu vernichten. Diesmal im Namen des 'Friedens'. Zu dieser Scheindebatte, zu diesem innenpolitischen Kräftemessen unter dem Vorwand des Krieges, sagt Viktor Orbán seit Monaten, dass seine Regierung und ihre Anhänger den Frieden wollen." Seit einigen Wochen ist diese Rhetorik jedoch eingedampft, so Parászka. "Einen Monat vor dem Angriff auf den Iran hat nämlich unser befreundetes Land Russland eine gemeinsame Militärübung mit dem Iran und unserem anderen befreundeten Land China organisiert. (...) Es gibt kein 'in der Mitte stehen', 'das ist nicht unser Krieg', kein Bluffen und Feilschen mit dem Aggressor. Am Wochenende des Angriffs auf Israel wurde die ganze Kriegstreiberei entlarvt, die Viktor Orbán seit zwei Jahren betreibt."
Stichwörter: Ungarn, Iran, Russland

Magazinrundschau vom 08.04.2024 - HVG

Der Verleger Ádám Halmos war Programmdirektor und Anteilseigner von Libri, der größten Buchhandelskette Ungarns, bis die gegenwärtige Regierung die Übernahme durch eine Regierungsinstitution forcierte. Halmos verkaufte seinen Anteil und gründete das unabhängige Verlagshaus Open Books. Er wollte seine Unabhängigkeit behalten, erklärt er seine Entscheidung und gibt Einblick in den Zustand des Buchmarktes in Ungarn: "Für einen Verleger bedeutet Unabhängigkeit heute nicht, dass eine allmächtige Person unsere großen Schriftsteller zensiert oder verbietet. Auch im Spätsozialismus hat man das kaum noch getan. Unabhängigkeit bedeutet für mich, ob ich moralisch, wirtschaftlich und menschlich autonom entscheiden kann. Kann ich eine vielfältige, offene, marktwirtschaftlich orientierte Organisation führen, oder muss ich vorsichtig sein? Niemand hat sonst Entscheidungsgewalt bei der Art des Buches, das ich veröffentlichen will. Aber die Verpackung und die Aufmachung werden bereits vom Staat geregelt und bei 'Abweichung' bestraft. Auch die Werbung, die ein Buch oder ein Autor erhalten darf, wird nicht nur nach Marktgesichtspunkten entschieden (...) Die staatliche Kulturpolitik zielt auf eine institutionelle Zentralisierung und die Schaffung eines zunehmend monochromen kulturellen Raums ab. Libri ist Eigentum der MCC, die von staatlich Beauftragten geleitet und mit Hunderten von Milliarden öffentlicher Gelder finanziert wird. Das Ziel von Libri ist immer noch, der einflussreichste Akteur auf dem Markt zu sein, was für manche Menschen eine bequeme Umgebung ist, für mich weniger. Jeder soll an der eigenen Position sein. Ich ziehe es vor, etwas aufzubauen und meine Meinung frei zu äußern."

Magazinrundschau vom 26.03.2024 - HVG

Nach der Etablierung einer "Behörde zur Verteidigung der Souveränität" wird diese mit weiteren umfangreichen Befugnissen ausgestattet, die gegen Opposition und Presse angewendet werden können. So soll sie künftig das Postulat "Landesverräter" verhängen können. (Mehr dazu hier.) Unklar ist noch, ob die erweiterten Befugnisse mit Sanktionierungsmöglichkeiten seitens der Behörde einhergehen. Die Venedig-Kommission des Europarats hat bereits ihre Bedenken geäußert. Ein Verfahren gegen Ungarn seitens der EU-Kommission ist anhängig. "Die immer heftigere Dämonisierung der Regierungsgegner ist nichts anderes als das Geschimpfe von Politikern, die um ihre Macht fürchten", meinen die Redakteure János Dobszay und István Riba. "Sie wollen es als von Natur gegeben hinstellen, dass nur sie und ihre Anhänger das ungarische Volk bilden. Wer sich zum Beispiel dafür einsetzt, dass die EU die Ungarn geschuldeten Gelder nur dann auszahlt, wenn die Unabhängigkeit der Justiz rechtlich ausreichend gesichert ist oder wenn garantiert werden kann, dass diese Gelder nicht gestohlen werden, der arbeitet gegen das Land, ist also ein Landesverräter. Und Verrätern kann man nicht die Macht überlassen. (...) Auch wenn das neue Amt alle Befugnisse erhalten hat, um - bildlich gesprochen - sogar in der Unterwäsche der politischen Gegner der Regierung zu wühlen, können Ermittlungen ohne Sanktionen an sich 'nur' eine einschüchternde Wirkung haben. Ganz anders sähe es aus, wenn die Behörde, wie von unterschiedlichen Stellen angedeutet, kein zahnloser Tiger wäre und auf ihre Ermittlungen, Untersuchungen und dann Anklagen die Gerichte mit Urteilen im Sinne der Regierung folgen würden. Und zwar nicht nur gegen Oppositionspolitiker, sondern auch gegen die unabhängige Presse."

Magazinrundschau vom 19.03.2024 - HVG

Im Interview mit Dóra Matalin spricht der Regisseur Szabolcs Hajdu u.a. über die Herausbildung einer alternativen Kultur in repressiven Gesellschaften: "Manchmal denke ich, dass der Erfolg (meines ersten Films) dafür verantwortlich ist, dass ein großer Teil der ungarischen Filme heute kostenlos und auf der Basis von Gefälligkeit produziert wird. Dann wiederum denke ich: Hätten wir nicht damit angefangen, hätte es jemand anderes getan. Aus einer unmöglichen Situation heraus haben wir diesen Film zu einem Erfolg gemacht, und er ist für viele ein Wegweiser gewesen. Wenn eine Gemeinschaft, der Film, das Theater, alles, was Kultur ist, was intellektuell ist, was Wissen ist, was Progression ist, auf diesem Niveau unterdrückt wird, dann entsteht zwangsläufig eine Gegenkultur. Sie sollten das wissen, denn Sie haben ja auch im Sozialismus gelebt, als hier der wildeste Untergrund blühte. Es macht keinen Sinn zu beschneiden, denn Neues wächst nach. Das Tragische ist, dass inzwischen Generationen dies satt haben, dass sie erodieren. In der Generation vor uns gibt es kaum noch aktive Regisseure, aber es könnte welche geben, wenn das Umfeld sie unterstützt hätte. Wenn es keinen Grund gegeben hätte aufzugeben, zu resignieren, das Land zu verlassen: János Szász, Béla Tarr, Attila Janisch, Csaba Bollók und weitere. Es gab eine Zeit im ungarischen Film, in der drei Generationen aktiv zusammengearbeitet haben. Sie gaben den Staffelstab weiter, lehrten sich gegenseitig."

Magazinrundschau vom 12.03.2024 - HVG

Der aus Siebenbürgen stammende Schriftsteller Gábor Vida spricht im Interview mit Boróka Parászka anlässlich seines neuen Romans u.a. über die Beziehung zwischen den Ungarn und in Siebenbürgen lebenden Ungarn, sowie über das Problem der ländlichen Gebiete im Kontext der nationalen Bestimmungen: "Die Menschen in Ungarn sind immer genervt von uns aus Siebenbürgen. Wahrscheinlich, weil wir so aussehen und so sind wie sie. Wir wollen Geld, wir wollen essen, wir wollen das Land haben, das man haben kann, wir wollen für sie denken, wir wollen die Richtung der Welt bestimmen. Deshalb mögen die Ungarn uns nicht, weil wir uns ähneln." Die Ungarn und die Rumänen hingegen lieben einander, "sehr sogar, weil sie sich nicht ähneln!", meint Vida. "Ich mag das Landleben, daran ist nichts auszusetzen. Das Problem beginnt, wenn wir das Ländliche für etwas verantwortlich machen wollen, was es nicht sein sollte. Es ist kein Problem, dass jemand zu Hause Schweine schlachtet oder Schnaps brennt. Das Problem ist, wenn der Bus nicht fährt, wenn der Asphalt der Straße oder die Brücke einbricht. Die Frage ist also, ob man die ländlichen Gebiete in das Leben eines Landes integriert. (...) Die rumänische und ungarische politische Elite ist jedoch nicht in der Lage, ein ganzes Land zu denken. Sie sieht nur ihr eigenes kleines Dorf oder ihre Stadt und denkt, dass das ganze Land eine Erweiterung davon sei."

Magazinrundschau vom 05.03.2024 - HVG

Nach dem Rücktritt der Staatspräsidentin Katalin Novák wurde eine Demonstration in der Budapester Innenstadt von Influencern organisiert, die gleich noch Berichterstattung, Analyse und Kritik der Veranstaltung mitlieferten. Das Engagement ist ja sehr schön, aber die Journalistin Boróka Parászka hat trotzdem Bauchschmerzen angesichts dieser Mischung aus Aktionismus und Journalismus: "Die ungarische Presse hat in den letzten anderthalb Jahrzehnten viel Drama und Tragik erlebt. Es ist ein Wunder, dass es sie noch gibt. Es herrscht ein harter Wettbewerb um jeden Pfennig. Unter diesen Umständen kann man es einigen Mitgliedern der unabhängigen Presse kaum verübeln, dass sie das Ideal einer freien Presse auf dem Altar der Spenden für die Einschaltquoten opfern (...) Warum bewahren die Medien, die für private Subventionen anfällig sind, aber sich nicht offen zu ihrem Geschäftsmodell und ihren Gewinnzielen bekennen, den Anschein eines öffentlichen Dienstes in einem Land, in dem die vom Markt lebenden Medien durch den Entzug staatlicher Mittel oder Anzeigen in die Enge getrieben werden und es keine öffentlich-rechtliche Medien gibt? Es gibt eine Subsistenz-Opposition in Ungarn - das haben wir schon oft gehört. Was wir nicht so oft gehört haben, ist, dass es Medien gibt, die ihren Lebensunterhalt zwar außerhalb des Gravitationsfeldes der Regierung verdienen, aber trotz der besten Absichten ihrer Macher Subsistenz-Medien sind. Sie leben von der politischen Show. Sie haben die gehobene Absicht, objektiv und demokratisch zu informieren, aber in Wirklichkeit liefern sie nur das absolute Minimum an Fakten und Nachrichten. Sie paaren Meinungsjournalismus mit Meinungspolitik, Zirkus mit Zirkus. Und helfen so den Machthabern, die Menschen glauben zu machen, dass alle Medien so sind."
Stichwörter: Ungarn, Ungarische Presse, Zirkus

Magazinrundschau vom 20.02.2024 - HVG

Infolge der Berichterstattung über die Begnadigung eines an Pädokriminalität beteiligten ehemaligen Schuldirektors, traten die Präsidentin Ungarns, Katalin Novák, sowie die ehemalige Justizministerin (und designierte Spitzenkandidatin der Regierungspartei für die kommenden Wahlen zum Europaparlament) Judit Varga vergangene Woche von allen politischen und öffentlichen Ämtern zurück. Als käme es auf diese beiden an, schnaubt Árpád W. Tóta in seinem Kommentar: "Katalin Novák ist eine Nebendarstellerin. Nicht nur in diesem Skandal, sondern in allen Angelegenheiten, in denen sie je mitgewirkt hat. Eine überall einsetzbare Hostess; die grinsend mit einem Sandwichtablett herumsteht, Buchstaben aneinanderreiht und Präsidentin spielt. (...) Solche Personen verdanken ihre Stellung lediglich der Loyalität. Sie sind an ihrem Platz, weil sie alles getan haben, was man von ihnen verlangt hat. Ihre Ehre ist die Treue, sie haben einen Abschluss darin, etwas Anderes kennen sie nicht." Doch immerhin: "Dieser Pädophilie-Skandal konnte explodieren und die Präsidentin hinwegfegen, weil es immer noch eine von der Regierung unabhängige Öffentlichkeit gibt. Ob es nun ein Anwalt in der Provinz war, der die Begnadigung entdeckte, oder ein Informant aus der Partei, es gibt weiterhin Anlaufstellen. Die Details konnten an Medien geschickt werden, die sie bearbeiteten und veröffentlichten. Wenn es sie nicht gegeben hätte, wäre wohl die ganze Sache als zweifelhaftes Internetgerücht untergegangen."
Stichwörter: Ungarn, Novak, Katalin

Magazinrundschau vom 13.02.2024 - HVG

Der 93-Jährige Schriftsteller Iván Sándor spricht über Möglichkeiten, Worten in der aktuellen Epoche der Instrumentalisierung und Entleerung ihre Bedeutung wiederzugeben: "Jede Epoche hat versucht, das zu verfälschen, was die Mächtigen nicht als in ihrem Interesse oder nicht von Vorteil in ihrem Alltag empfanden. Jedoch ist die jetzige das Zeitalter der falschen Welten. In Ungarn stecken wir bis zum Hals in der Verschönerung der Realität im Interesse der Macht. Die Worte haben ihre Bedeutung verloren. Sie können für alles verwendet werden. Wir sehen es, wir leben es, wir erfahren es. In meiner schriftstellerischen Auffassung müssen wir jene Ausdrucksmittel für den Roman finden, die die diskreditierten Worte erneut transparent machen. So treten in meiner Poetik des Romans Bilder, Musik und Rhythmus in den Vordergrund. Ich wechsle zwischen einzelnen Äußerungen, inneren Monologen, Dialogen, Träumen, und ich unterbreche den Text nur mit Absätzen, von denen viele ohne Punkt, Großbuchstaben und Semikolon auskommen, denn, wie gesagt, alles hängt zusammen, auch wenn wir im gegebenen Augenblick nicht daran denken."
Stichwörter: Sandor, Ivan