Desk Russie publiziert einen Vortrag von
Leonid Finberg, Direktor des Zentrums für jüdische Studien an der Mohyla-Akademie in Kiew. Die angebliche "
Ent-Nazifizierung" der Ukraine war eines der wichtigsten Argumente der russischen Propaganda, um den Krieg in der Ukraine vor der eigenen Bevölkerung zu rechtfertigen,
erinnert Finberg: "Im Herzen Faschisten und Rassisten, beschuldigen diese Ideologen ihre Gegner des Faschismus. Timothy Snyder hat dies als
Schizofaschismus bezeichnet." Diese Taktik hat eine lange Tradition, weiß Finberg, schon während des Zweiten Weltkrieges verbreiteten die Sowjets das Narrativ, die Ukrainer trügen eine Hauptschuld an der Schoa: "Die sowjetische und die russische Version der
Tragödie von Babi Yar sind Teil der Verfälschung der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg. Alle verschweigen die Zusammenarbeit zwischen Nazideutschland und der Sowjetunion im Rahmen des Molotow-Ribbentrop-Pakts. Aus diesem Grund wurde die sowjetische Bevölkerung nicht über die jüdischen Tragödien in Deutschland oder in den von ihr besetzten Ländern informiert. Dies trug dazu bei, dass viele derjenigen, die beim Massaker von Babi Yar und anderswo in der Ukraine starben, auf die Ankunft einer zivilisierten deutschen Armee warteten, anstatt nach Osten zu fliehen. Darüber hinaus war Babi Yar nicht der erste Akt der physischen Vernichtung Tausender Juden während der Nazi-Invasion auf sowjetischem Gebiet. Doch die sowjetischen Behörden verschwiegen diese Tatsachen, und die Einwohner von Kiew und Charkiw wurden über die Massenvernichtungen in den von den Nazis besetzten Gebieten im Unklaren gelassen. Nach dem Zweiten Weltkrieg beschuldigten die
sowjetischen Medien die Ukrainer mehrerer Massaker, die in Babi Yar verübt wurden. Juden, Roma, psychisch Kranke, aber auch ukrainische Nationalisten waren von Nazi-Spezialeinheiten getötet worden. In vielen sowjetischen und russischen Publikationen wird jedoch behauptet, dass es sich um ethnische Ukrainer gehandelt habe. Es sei darauf hingewiesen, dass es in der besetzten Ukraine
keinen Staat gab. Die Kollaborateure handelten auf individueller Basis. Sie rekrutierten sich aus allen ethnischen Gruppen, die die Ukraine bevölkerten, und aus sowjetischen Kriegsgefangenen."
Während der Gaza-Krieg die Aufmerksamkeit der westlichen Akteure auf sich zieht, etabliert sich in den Medien das Narrativ einer "kriegsmüden Ukraine",
stellt Jean-Sylvestre Mongrenier kopfschüttelnd fest. Das ist erstens falsch, legt Mongrenier dar, indem er die militärische Situation genau analysiert: "Ungeachtet des russischen Triumphalismus, der leider in den westlichen Medien weitergegeben wird, wird der Kreml angesichts seiner Kriegsziele
in die Schranken gewiesen." Zum Zweiten müsse sich der Westen endlich klar werden, was er zu verlieren hat, sollte Putin den Krieg gewinnen: "Es sollte selbstverständlich sein, dass das große westliche Bündnis eine globale Ausrichtung hat. Angesichts der
'Achse des Chaos' Russland-Iran-China muss der Westen seine diplomatisch-strategischen Bemühungen zusammenführen, und zwar auf globaler Ebene. Schließlich sei daran erinnert, dass eine umfassende und langfristige Strategie nicht ohne eine 'große Idee', ein geordnetes System von Werten, eine Weltanschauung, umgesetzt werden kann. Um es anders auszudrücken: Keine große Strategie ohne Metapolitik. Diese große Idee ist die des Westens. Der Westen ist viel mehr als ein Teil der Landmasse, eine globale Darstellung und ein geopolitisches Lager, er ist eine '
Region des Seins'. Er verweist auf Athen, Rom und Jerusalem: jene 'Zivilisation der Person', in der der Mensch als moralischer Akteur konzipiert wird, der über einen freien Willen verfügt und zwischen Gut und Böse entscheiden kann. Über alle historischen Wechselfälle und punktuellen Erschütterungen hinweg ist der Westen das
Leuchtfeuer einer Welt, die in den Abgrund zu stürzen droht."