Im Kino

Corinna Harfouch strickt

Die Filmkolumne. Von Benjamin Moldenhauer
02.05.2024. Ein Rätselfilm, bei dem die Auflösung wurscht ist: Robert Gwisdeks "Der Junge, dem die Welt gehört" ist eine ausgesprochen musikalische Angelegenheit, die zunächst bedeutungsschwanger daherkommt. In sanft surrealen Beziehungsgesprächen kommt der Film dann aber zu sich selbst.

Ein ewiger Junge, ein Kind in Mannsgröße eigentlich, lebt mit seinem skurrilen Mentor in einer Villa auf Sizilien und komponiert am Flügel Musik, die ihm nicht gefällt. Er soll der Welt ihr Gespräch ablauschen und dieses Gespräch dann mit seiner Musik erfassen. Oder irgendwie so ähnlich. Das als Prämisse plus eine Schwarzweiß-Bildgestaltung, die sehr laut Arthouse schreit, und schon breitet sich im gutwilligen Rezensenten die Sorge aus, dass man es im Falle von Robert Gwisdeks Spielfilmdebüt "Der Junge, dem die Welt gehört" mit einem besonders ambitioniert-bedeutungsschwangeren Werk zu tun hat.

So geht es los: Der Mentor Kasimir (Denis Lavant) rauscht wie ein Derwisch hinter dem eher ambitionslosen Basilio (Julian Pollina Faber) her durchs Treppenhaus und gibt dauererregt Plattitüden über Kunst, Musik und Poesie von sich. Dazu eine theaterhafte Inszenierung, die hervorgekehrte Skurrilität tut das Ihre. Es passiert auf eine Jim-Jarmusch-hafte Weise sehr wenig, bis im ich glaube dritten Akt Karla (gespielt von der Schauspielerin mit dem besten deutschen Namen zurzeit: Chiara Höflich) auftaucht und die beiden sich zur Eheschließung entschließen.

Basilio sagt von sich, ihm gehöre nicht nur der kleine Laden, in dem er sich Karla gegenüber als Verkäufer ausgibt, sondern gleich die ganze Welt. Er sei allerdings in seiner eigenen Welt Tourist. Das ist ein Witz, der zur Charakterisierung eines jungen Mannes, der immer noch ein großer Junge ist, dient. Eine schöne Metapher für einen Menschen, der zum einen qua Herkunft keinerlei Not gelitten hat und mit seiner Umgebung zum anderen kaum verbunden ist.

Basilio scheint es mit seiner Musik und der Idee, die Welt zu vertonen, unter anderem auch deswegen nicht so gut zu gehen, weil er zu ihr, der Welt, nur wenig Kontakt hat. In der ersten halben Stunde schleppt sich "Der Junge, dem die Welt gehört" denn auch ein wenig zäh dahin. Vielleicht ist das Indie-Kunstfilmhafte des Films aber selbst schon der erste Scherz. Regisseur Robert Gwisdek ist eigentlich Schauspieler und als Musiker Kopf der gleichfalls recht lustigen HipHop-Truppe Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi, mit der er unter anderem die Soundtracks für die Verfilmungen der Känguru-Chroniken von Marc-Uwe Kling gemacht hat. Von den beiden Känguru-Filmen hat "Der Junge, dem die Welt gehört" in der Tat mehr als vom frühen Jarmusch, auch wenn die Figuren gerne wo rumstehen und labern.


In Gang kommt Gwisdek Film wie gesagt ab dem dritten Akt, wenn Karla das Bild betritt. Die Dialoge zwischen ihr und Basilio, zwei Verliebten, die sich schnell füreinander entscheiden und trotzdem ironische Distanz waren, sind das Beste an "Der Junge, dem die Welt gehört". Mit einem Mal macht die bis dahin etwas richtungslos wirkende sanfte Surrealität Sinn, weil sie mit alltäglichen und doch besonderen Momenten verknüpft und in Spannung gesetzt wird. Zwei Verliebte spazieren durch die Natur und klären ihr Verhältnis, ohne dass das in eines dieser schrecklichen Beziehungsratgebergespräche abgleiten würde. Jetzt, wo er ihr gehöre, sagt Karla zu Basilio, gehöre auch die halbe Welt ihr (sie gehöre ihm hingegen noch nicht ganz, ihr linker Fuß sei sich noch nicht ganz sicher). Dann wird verhandelt, wem was zusteht, und das Ganze hat nichts von einer Wohnungsauflösung, sondern von einem Zusammenfinden. Der eine kriegt die Bäume, die andere die Wurzeln. Karla will dreisterweise die gesamte Musik der Welt, bis auf die schlechte, die Basilio selbst schreibt.

Dann werden die Scheißgefühle zum Thema und die Frage, welche davon der andere einem abnehmen kann. Nach der Frage, wie sehr man sich dem anderen verschreibt, wird geschaut, was man dem Anderen an Dunkelheit zumuten möchte und kann. Dann auch gleich die erste Lüge in dieser Beziehung. Karla fragt, ob sie sie einrahmen sollte. In diesen zwanzig Minuten ist "Der Junge, dem die Welt gehört" ein wunderschöner, witziger Film über zwei Menschen, die zueinander wollen.

Sehr gut funktioniert das alles auch als Film über Musik. Julian Pollina Faber ist eigentlich kein Schauspieler, sondern Singer-Songwriter, und spielt seine Rolle sehr musikalisch. Das Drama des begabten Kindes, das sich in dem Erzählstrang mit dem ständig ramenternden Mentor ansatzweise zeigt, spielt eine Rolle bei der Strukturbildung des assoziativen Geschehens. Robert Gwisdek ist einer Schauspielerfamilie entsprungen, seine Mutter Corinna Harfouch spielt in "Der Junge, dem die Welt gehört" auch mit.

Ihr Erzählstrang ist allerdings in seiner Verrätselung eher ungut anstrengend. Ein Kind liegt regungslos am Boden, drei Mädchen stehen drumherum, Corinna Harfouch strickt, solche Sachen. Nach einer Stunden Laufzeit löst sich die Erzählung doch ziemlich auf. Es verhält sich mit "Der Junge, dem die Welt gehört" ähnlich wie mit anderen gelungenen Rätselfilmen: "Donnie Darko" funktioniert über die depressive Atmosphäre, und "The Sixth Sense" ist in seiner Melancholie auch dann noch sehr wirkungsvoll, wenn man weiß, dass Bruce Willis von Anfang an tot ist. Heißt: Die Auflösung ist eigentlich wurscht und also ist es auch egal, wenn es, wie hier, keine gibt. Hängen bleibt man bei dem Witz, da wo er greift, und bei einer leise entrückten und trotzdem mit realen Erfahrungen verbundenen Liebesgeschichte.

Benjamin Moldenhauer

Der Junge, dem die Welt gehört - Deutschland 2024 - Regie: Robert Gwisdek - Darsteller: Julain Vincenzo Faber, Chiara Höflich, Denis LAvant, Corinna Harfouch - Laufzeit: 96 Minuten.