Efeu - Die Kulturrundschau - Archiv

Film

3134 Presseschau-Absätze - Seite 2 von 314

Efeu - Die Kulturrundschau vom 24.05.2024 - Film

Ben Whishaw in  Kirill Serebrennikows "Limonov - The Ballad"

Andreas Busche trifft sich für den Tagesspiegel mit Kirill Serebrennikow, der das Leben des früheren Schriftstellers und später rechten Politikers Eduard Limonow mit "The Ballad" als "Fieberfantasie verfilmt" und in Cannes uraufgeführt hat. Serebrennikow ist mittlerweile selbst im Exil und musste diverse Hürden nehmen, um Emmanuel Carrères Roman über Limonow zu verfilmen. Er erklärt, warum er trotzdem an dem Projekt festgehalten hat: "'Wir studieren dieses faszinierende Objekt aus allen möglichen Perspektiven, um es besser verstehen zu können', beschreibt Serebrennikow seinen Ansatz. Den Film nennt er ironisch ein 5D-Modell - 'inklusive Geruch'. Dass er vor allem die 1970er Jahre fokussiert und die 'Baseballschläger-Jahre' Limonows eher pflichtbewusst erst in den letzten dreißig Minuten aufgreift, hat vielleicht aber doch mit Serebrennikows romantischem - und letztlich auch eitlem - Verständnis der Künstler-Persona zu tun. 'Ich kann mich mit Limonows Haltung, sich gegen alles zu stellen, in gewisser Weise identifizieren. Für einen Künstler ist das eine gute Position, nicht nach den Regeln zu spielen, die uns angeboten werden. Heiner Müller hat einmal gesagt: Steh über allem. Nur so verstehst du beide Seiten', sagt Serebrennikow. Eddie Limonow bleibt auch in der fünften Dimension ein Rätsel."

Dass sich auch auf dem Filmfestival Cannes politische Botschaften nicht verbannen lassen, heißt Valerie Dirk in ihrer Standard-Kolumne gut. Der künstlerische Leiter Thierry Frémaux hatte Solidaritätsbekundungen gleich welcher Art untersagt, "und dann kam Cate Blanchett, lüpfte ihre Schleppe und schummelte so doch noch eine Solidaritätsbekundung mit Palästina auf den roten Teppich. Und das ist gut so, ganz egal ob man einer Meinung mit Blanchett ist. Denn Politik findet niemals nur auf der Leinwand statt, sondern auch davor und dahinter. Und auf Filmfestivals treffen die politischen Diskurse aufeinander. Schon der Gründungsmythos des 1939 geplanten und 1946 erstmals veranstalteten Festivals von Cannes besteht darin, ein Kino-Bollwerk für die freie Welt zu sein - in Abgrenzung zu den einst faschistisch und bolschewistisch vereinnahmten Filmfestivals von Venedig und Moskau."

Weitere Artikel: Für die zweite Staffel der Anthologie-Serie "Them: The Scare" braucht man keine Vorkenntnisse aus der ersten, versichert Hendrik Buchholz in der FAZ, die Handlung um die schwarze Polizistin Dawn Reeve, den Serienmörder Edmund Gaines und die mysteriösen Morde, die an Angehörigen von Minderheiten begangen werden, ist in sich geschlossen. Es wird viel auf klassischen Horror gebaut, Schwächen in der Figurengestaltung gibt es trotzdem. Besprochen werden: "Kinds of Kindness" von Yorgos Lanthimos und "Emilia Pérez" von Jacques Audiard in Cannes (Welt), "Motel Destino" von Karim Ainouz (Taz) und "Furiosa: A Mad Max Saga" von George Miller (Standard, Zeit Online).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 23.05.2024 - Film


Szene aus "Mit einem Tiger schlafen" von Anja Salomonowitz. AUT 2024, Forum © coop99 Filmproduktion

Der Malerin Maria Lassnig ging es in ihrer Kunst um "Body-Awarness" - und zwar lange vor den "Achtsamkeitsexpertinnen des 21. Jahrhunderts", schreibt Josef Grübl in der SZ. Die österreichische Regisseurin Anja Salomonowitz hat ein Biopic über die Künstlerin gedreht, deren Bilder erst wirklich erfolgreich wurden, als sie schon recht alt war. "Mit einem Tiger schlafen" ist mehr als ein herkömmliches Biopic, so Grübl, wirklich aufregend wird es aber durch die Hauptdarstellerin, findet er: "Der Film- und Bühnenstar Birgit Minichmayr ist großartig in diesem assoziativen Künstlerinnen-Porträt, mit wenigen Hilfsmitteln (wie etwa Gehstöcken oder entsprechender Garderobe) verkörpert sie Lassnig als Neunzigjährige ebenso wie als Siebenjährige. Das ist Schauspiel in seiner reinsten Form - über Gestik, Stimme und Imagination."

Gunda Bartels teilt im Tagesspiegel ihre Lieblingsszene aus dem Film, in der Lassnig nach einer Ausstellungseröffnung von allen allein gelassen wird: "Dass die reduzierten Schwarzweiß-Malereien namens 'Stumme Formen' den Kunststil Informell in Österreich mitbegründen, kratzt zu der Zeit niemanden. Bis auf die Ameisen. Unter ihnen hat sich offenbar herumgesprochen, dass Maria Lassnig schon in ihren Mädchentagen in Kärnten kein Insekt zerquetscht hat, sondern im Gegenteil Ameisen und Spinnen als Gefährten betrachtet, die es aus Badewannen zu retten gilt. Also kommen die Ameisen angetrippelt und tragen das schwankende Gemälde neben der beladenen Künstlerin her. Es ist das schönste Bild des Künstlerinnendramas, das - quasi in dokumentarischen Einschüben - immer wieder Lassnig-Gemälde zeigt." Taz-Kritikerin Katrin Bettina Müller braucht für die vielen Zeitsprünge im Film etwas Geduld.


Szene aus "Furiosa: A Mad Max-Saga"

Zurück in Cannes: Hier lief der fünfte "Mad Max"- Film an. Fans werden sich freuen, meint SZ-Kritiker Tobias Kniebe, entdeckt im Prequel von George Miller, dass die Vorgeschichte der Motorradfahrenden Rächerin "Furiosa" erzählt, allerdings einige Logiklöcher und findet - so ganz haut das alles nicht hin: "Als Einzelstück ist er eine Studie übers Überleben im Extremzustand, mit interessanten Gedanken über Kampf- und Anpassungsstrategien und die Notwendigkeit der Kooperation unter machthungrigen Psychopathen. Ganz überzeugend ist er nicht. Wie er als Double-Feature mit 'Fury Road' funktioniert, in einer vielstündigen Kinonacht mit Ohropax und höchster Oktanzahl - das werden die Mad Maxianer unter uns nun sehr bald herausfinden."

Im Perlentaucher Thomas Groh ist hingegen überrascht - Dieser "Mad Max" interessiert sich zur Abwechslung mal mehr für Menschen als für Autos: "So viel Plot, so viel persönliches Drama, so viel Shakespeare'sche Tragödie gab es im Franchise nicht mehr seit dem allerersten 'Mad Max' (damals noch der damaligen Gegenwart verpflichtet, die von Punk und Metal informierte Fantasy-Welt, die heute mit dem Franchise in Verbindung gebracht wird, war eine Erfindung des Sequels). War 'Fury Road' ein Glanzstück der Tugend 'Show, don't tell'... ist 'Furiosa' ein Stationendrama, das Millers einst sehr wandelbare, nun aber offenbar durchdefinierte Postapokalypse mit viel World Building ausstattet."

Weiteres: In der FR teilt Daniel Kothenschulte seine Eindrücke aus Cannes. In der taz berichtet Tim Caspar Böhme. Im Tagesspiegel meldet Christiane Peitz, dass das Bundeskabinett den Entwurf zum neuen Filmförderungsgesetz absegnete. Besprochen werden Ali Abbasis Trump-Film "The Apprentice" (Welt, FAZ, tsp) und Jennifer Podemskis Serie "Little Bird" (auf Arte zu sehen) (taz).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 22.05.2024 - Film

Szene aus "The Apprentice"

In Cannes sorgt Ali Abbasis Film "The Apprentice" über den jungen Donald Trump für Furore. Trump fühlt sich verleumdet und droht bereits mit einer Klage gegen einen Film, der unter anderem eine Szene enthält, in der er seine Exfrau Ivana vergewaltigt. Marie-Luise Goldmann allerdings beschreibt in der Welt einen Film, der Trump nicht nur als Monster darstellt. Abbasi zeichne "den jungen Trump der siebziger und achtziger Jahre stets auch als schwachen, bemitleidenswerten Menschen. Gleich in der ersten Szene wird er in einer Bar sitzen gelassen, kurz nachdem seine Begleitung ihm vorgeworfen hat, von berühmten Menschen besessen zu sein. Später leidet er unter Erektionsstörungen, Haarverlust, Bauchfett. Sebastian Stan spielt Trump herrlich abgeschwächt. (...) Er stattet den späteren Politiker mit einer jungenhaften Sanftheit aus, die selbst in seinen unsympathischsten Szenen nicht weicht."

David Steinitz berichtet in der SZ über die kuriosen Hintergründe der Produktion: "Der US-Unternehmer und Milliardär Daniel Snyder, dem unter anderem mal das Football-Team Washington Commanders gehörte, hat den Film über die Produktionsfirma Kinematics mitfinanziert. Snyder darf man besten Gewissens als Trump-Fan bezeichnen. Er hat diesem wiederholt hohe Summen zu politischen Zwecken gespendet. Kurioserweise ging Snyder anscheinend davon aus, dass der Film eine Art Lobeshymne auf den großen Donald werden sollte - und kein Porträt des späteren Präsidenten als Vergewaltiger. Tja." Für die taz schreibt Tim Caspar Boehme über den Film.

Cate Blanchett ist in Cannes tatsächlich als palästinensische Fahne über den roten Teppich spaziert:

Wilfried Hippen befragt für die taz Rasmus Greiner über das diesjährige Bremer Filmsymposium. Josef Lederle veröffentlicht im Filmdienst Cannes-Notizen.

Besprochen werden einige Cannes-Filme: Kevin Costners "Horizon: An American Saga" und Coralie Fargeats "The Substance" (Tagesspiegel), ebenfalls "The Substance" sowie David Cronenbergs "The Shrouds" (Welt) und Jonás Truebas "The Other Way Around" (critic.de). Daneben außerdem, abseits der Croisette, Günter Attelns Dokumentarfilm "Joana Mallwitz - Momentum" (Tagesspiegel), Cece Mlay und Agnes Lisa Wegners "Das leere Grab (taz) sowie Oliver Boczek und Gerald Grotes "Ich habe Kiel erlebt" (taz Nord).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 21.05.2024 - Film

Szene aus Andrea Arnolds Film "Bird". Foto: Courtesy Festival de Cannes.

Die Kritiker berichten vom langen Festival-Wochenende in Cannes und teilen ihre Highlights: Ein Juwel ist für FAZ-Kritikerin Maria Wiesner Andrea Arnolds Film "Bird", in dem es um die in prekären Verhältnissen aufgewachsene Bailey geht, die eines Tages auf "Bird" (Franz Rogowski) trifft und ihn "fortan entdeckt, wie er auf den Dachfirsten der heruntergekommenen Hochhäuser balanciert. Ist er ein Vogel? Ist er ein Freund? Entstammt er ihrer Fantasie? Arnold hat darauf eine geniale Antwort gefunden. Nicht nur stofflich wagt sie viel, auch formal. Um Baileys Sicht der Welt zu zeigen, wechselt die Kamera manchmal ins schmale Hochformat ihrer Handyvideos, findet Schönheit auf Graffitiwänden, staunt über Wind, der durch Gräser fegt, zeigt Möwen, die in der Luft stillstehen. Diese Augenhöhe mit den Figuren verhindert Herablassung und lotet Menschlichkeit bis zum Grund hin aus - oft heftig, schrecklich, schön und sehr wahr." Auch Andreas Busche ist im Tagesspiegel begeistert von Arnolds Film, eigenwillig sind die Filme der Regisseurin aber schon: "Man muss sich auf ihre Fantasie einlassen oder kann mit ihrem Kino wenig anfangen."

Weiteres aus Cannes: Ziemlich bleich sahen die Zuschauer nach Coralie Fargeats Body-Horror-Thriller "The Substance" aus, schreibt David Steinitz begeistert in der SZ: "Der Film ist eine böse, smarte Satire, neben vielen Schockmomenten gibt es auch sehr komische Szenen. Das blutige Finale, in dem die Demi-Moore-Mutantin mehr oder weniger explodiert vor ihrem TV-Publikum, lässt alle berühmten Blutszenen der Filmgeschichte (die Blutdusche in 'Carrie', die Blutwelle in 'Shining') sehr blass aussehen." In der NZZ lobt Andreas Schreiner Yolande Zaubermans Dokumentarfilm "La Belle de Gaza", der von arabischen Transfrauen erzählt, und den er ganz besonders queeren Palästina-Freunden ans Herz legt.

Kevin Costners "Horizon". Foto: Courtesy Festival de Cannes 2024/Warner Brothers

Kevin Costners Western-Projekt "Horizon" fiel hingegen weitgegend durch: Der erste Teil von Costners auf vier Episoden angelegter "amerikanischer Saga" ist für Welt-Kritiker Hanns-Georg Rodek ein Zeichen, dass der Western nun wirklich tot ist. Der Film erzählt von der "Landnahme" im amerikanischen Westen des 19. Jahrhunderts durch weiße Siedler, aber die Perspektive der Native Americans komme kaum vor, klagt Rodek: "Doch dies ist ein weißer Film, was sich schon im Titel zeigt: Die Siedler haben sich alle wegen eines Flugblatts mit der Überschrift 'Horizon' auf den Treck gemacht. Sie versprechen sich einen offenen Horizont und unendliche, unbesiedelte Weiten. Es ist, als würde man die deutsche Kolonialgeschichte in Südwestafrika weitgehend aus der Sicht der Siedler erzählen, die sich in 'unbesiedelte' Weiten eines neuen Kontinents aufmachen: Ja, da gab es ein paar unerfreuliche Ereignisse, aber im Wesentlichen feiern wir die Pioniere!"

Weitere Artikel: Susan Vahabzadeh bespricht in der SZ Gus Van Sants Serie "Feud" über Truman Capote. Helmut Hartung hat sich für die FAZ den Entwurf für das neue Filmförderungsgesetz angesehen über das sich vor allem die Produzenten freuen können (und sonst niemand). Christiane Peitz, Inga Barthels Claudia Reinhard schauen sich für den Tagesspiegel nochmal die Cannes Gewinner-Filme der letzten fünfzig Jahre an.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 18.05.2024 - Film

Francis Ford Coppolas selbstfinanziertes 120-Millionen-Dollar-Monstrum "Megalopolis" feiert in Cannes Premiere. Die ersten Reaktionen der Kritik sind, wie kaum anders zu erwarten, uneinheitlich. Maria Wiesner zeigt sich in der FAZ durchaus angetan. Denn "immer dann, wenn 'Megalopolis' zugleich Dokument des Eigensinns und Hommage an ein Jahrhundert Kinogeschichte wird, versteht man, warum dieser Film sein musste. Wenn Adam Driver auf einem silbernen Dachvorsprung steht, sich über den Abgrund beugt und kurz vor dem Fall die Zeit anhält, schnellt ihm der Abgrund mit Hitchcocks Vertigo-Effekt entgegen, als wäre er eben erst erfunden worden, und auch die Verbeugungen vor dem expressionistischen Kino der Weimarer Republik, wenn dunkle Schatten als Riesen über spiegelnde Hochhausfassaden gleiten, sind keine akademische Übung, sondern Herzenssachen."

Auch FR-Kritiker Daniel Kothenschulte würdigt Coppolas Wagemut, mit dem Ergebnis kann er sich freilich nicht allzu sehr anfreunden: "Was sich vielleicht ankündigt wie ein zweiter 'Blade Runner', bleibt technisch ungelenk und predigend-altherrenhaft. Manchmal sieht es aus wie der Softpornoklassiker 'Caligula' von Tinto Brass - nur ohne Sex. Und als wäre die Premiere nicht sonderbar genug, ergriff während der Vorführung plötzlich ein Schauspieler aus Fleisch und Blut das Mikrofon, um Adam Drivers Filmfigur ein paar Fragen zu stellen - nicht allerdings jene, die dieses merkwürdige Gesamtkunstwerk selbst aufwarf." Für die FAZ rezensiert David Steinitz, für die taz Tim Caspar Böhme, für den Standard Valerie Dirk. Hier der bildgewaltige Trailer:



Außerdem: Kai Spanke analysiert in der FAZ John Carpenters Horrorklassiker "Halloween". Jenni Zylka macht sich in der taz entlang einiger Cannes-Filme Gedanken über Geschlechterverhältnisse. Jan Küveler berichtet für die Welt aus Cannes, wo dieses Jahr die Frauen im Zentrum stehen sollen. Auch Josef Lederle meldet sich im filmdienst von der Croisette.

Besprochen werden George Millers "Furiosa: A Mad Max Saga" (FAZ) sowie Agnes Lisa Wegner und Cece Mlays Dokumentarfilm "Das leere Grab" (FAZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 17.05.2024 - Film

Das Filmfestival Cannes startet mit Filmen, die aktuelle Diskussionen um #metoo in den Blick nehmen, berichtet Tim Boehme für die taz: "Wie um das strukturelle Unrecht der Filmbranche symbolisch auszugleichen, erzählen die ersten Filme des Wettbewerbs von starken Frauen, die sich in ganz unterschiedlichen feindlichen Umgebungen behaupten müssen. 'Diamant brut' der französischen Regisseurin Agathe Riedinger folgt der jungen Liane (Malou Khebizi) durch ihren Alltag im verschlafenen Fréjus an der Côte d'Azur. Sie ist Instagrammerin, die in ihrem Account hauptsächlich ihren Körper thematisiert. Ihre Brüste hat sie schon machen lassen, sie überlegt, sich einen Brazilian Butt zuzulegen. Ihre Mutter ist arbeitslos, für das notwendige Geld klaut sie im Einkaufszentrum Parfum und Computerzubehör, das sie in der Nachbarschaft verhökert." "Furiosa: A Mad Max Saga" und "The Girl with the Needle" führt sich der Kritiker ebenfalls zu Gemüte und resümiert: "Gewalt ist keine Lösung, aber manchmal muss man sich trotzdem wehren."

Weitere Updates aus Cannes: David Steinitz feiert in der SZ Meryl Streep und den Actionfilm "Furiosa: A Mad Max Saga". In der FAZ berichtet Maria Wiesner aus Cannes über George Millers Mad-Max-Film "Furiosa", Agathe Riedingers "Diamant brut" und Judith Godrèches MeToo-Kurzfilm. Anke Leweke sah für Zeit online Francis Ford Coppolas "Megalopolis", in der Welt schreibt darüber Hanns-Georg Rodek.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 16.05.2024 - Film

Warum sind Menschen Monster? Nuri Bilge Ceylans "Auf trockenen Gräsern"

Auch Nuri Bilge Ceylans neunter Spielfilm "Auf trockenen Gräsern" steckt wieder voller "mitreißender, philosophischer Dialoge", stellt Perlentaucher Patrick Holzapfel fest. Der Film handelt von einem Kunstlehrer in Ostanatolien, der sich zu einer Schülerin hingezogen fühlt. "Wie immer bei Ceylan handelt es sich auch bei dieser Arbeit um eine an Anton Tschechow und dem Existenzialismus geschulte Auseinandersetzung mit der Ambiguität des menschlichen Seins. ...  Der Film fragt: Was wäre, wenn man ein Monster wie einen Menschen filmt? Oder anders: Warum sind Menschen Monster? Es mag widersprüchlich klingen, aber hinter dieser Schwärze verbirgt sich ein Humanismus, der das Menschliche eben gerade im Niederträchtigen verteidigt. Manchmal bewegt sich 'Auf trockenen Gräsern' bedrohlich nahe an den Grenzen des Apologetischen, insgesamt aber überlässt er uns das Urteil." Im Freitag hält Thomas Abeltshauser fest: "Es sind stets die Männer in Ceylans Diskurs-Epos, die sich aufgeklärt geben und doch beim kleinsten Widerstand als unreife und egomane Kindsköpfe erweisen, die auf dem Status quo beharren." Und Bert Rebhandl schwärmt online nachgereicht in der FAS: Ceylan "hat im Weltkino einen vergleichbaren Rang, wie ihn Orhan Pamuk in der Weltliteratur hat. Gäbe es einen Nobelpreis für Filme, Ceylan wäre unzweifelhaft ein Kandidat." Auch sein FAZ-Kollege Andreas Kilb ist vollauf überzeugt: "Wirklich großes Kino lässt uns darüber staunen, wie vertraut uns die Dinge sind, die es in Bilder übersetzt. So wie 'Auf trockenen Gräsern', ein Film von Nuri Bilge Ceylan."

Updates aus Cannes: Tim Caspar Boehme (taz) und Andreas Scheiner (NZZ) sahen Quentin Dupieuxs Meta-Komödie "Le deuxième acte", die das Festival eröffnete (mehr dazu bereits hier). Daniel Kothenschulte (FR) und Jan Küveler (Welt) berichten von der Eröffnungsgala des Festivals. Valerie Dirk porträtiert im Standard die französische Schauspielerin Judith Godrèche, die die aktuelle französische MeToo-Debatte (über die Lena Bopp in der FAZ schreibt) mit in Gang gesetzt hat und deren Kurzfilm "Moi Aussi" auf dem Festival läuft.

Weitere Artikel: Marian Wilhelm empfiehlt im Standard das Ethnocineca-Filmfestival in Wien. Besprochen werden Meg Ryans "What Happens Later" (Perlentaucher), John Krasinskis "IF: Imaginäre Freunde" (FAZ), Pablo Bergers Animationsfilm "Robot Dreams" (Freitag), Ole Bornedals Horrorfilm "Nightwatch: Demons Are Forever" (SZ, FD), die ARD-Serie "Die Zweiflers" (taz) und ein ARD-Porträtfilm über den Medienanwalt Christian Schertz (BLZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 15.05.2024 - Film

Gefühlt vergeht derzeit kaum ein Tag ohne einen offenen Brief, der missliebige Menschen und Milieus anprangert. Nun wird gegen den Produzenten Martin Moszkowicz mobil gemacht, dem schlechte Arbeitsbedingungen bei Til-Schweiger-Produktionen vorgeworfen werden. Auf den ersten Blick eher überraschenden Beistand erfährt er durch Lars Henrik Gass, den Leiter der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, der auf Blickpunkt Film zwar deutlich macht, dass er Moszkowiczs Arbeit nicht über alle Maßen schätzt, aber diese Form des Protests eben noch um ein Vielfaches weniger: "Je politisch wirkungsloser die Filmverbände agieren, desto lauter treten sie auf in korporativem Beharrungsvermögen. Das Auftreten erweckt den Eindruck von Gewicht, das man faktisch nicht hat. Symbolpolitik ist die Schrumpfform bürgerlicher Kultur, die sich in zivilgesellschaftlichen Bandenkriegen zeigt, insbesondere in der Filmbranche. ...  Der Offene Brief als Genre kulturpolitischer Auseinandersetzungen gibt bündig Auskunft über den Stand gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und die Erosion von Kriterien im Umgang mit Film in diesem Land. Weder hat man für wirtschaftlichen Erfolg noch für künstlerische Qualität Maßstäbe, über die eine Verständigung die Mühe des Aufwands noch lohnte. Und das hat Gründe: Die Filmbranche erzeugt immer mehr und immer komplexere Teilhabeansprüche, die befriedigt werden müssen."

Bei den Kinos, ohne die kein noch so gut geförderter Film sein Publikum finden kann, wächst die Nervosität angesichts Claudia Roths Plänen für die Reform der Filmförderung, die bis Ende des Jahres stehen muss, aber nach Ansicht der Kinobetreiber deren Branche zu wenig würdigt, schreibt Andreas Busche im Tagesspiegel. "Verbandschef Christian Bräuer von der AG Kino, der Gilde deutscher Filmkunsttheater, hatte für den aus Kinobetreibersicht enttäuschenden Entwurf im Februar bereits ein sinniges Bild: 'als würde man nur den Bau von Elektroautos fördern, ohne sich um Ladesäuleninfrastruktur und Straßennetze Gedanken zu machen'. Doch die Prioritäten liegen - das zeigt der aktuelle Referentenentwurf - woanders: bei den Produzenten."

Warum tun wir uns das hier eigentlich an? "La deuxième Acte" von Quentin Dupieux

Mit Quentin Dupieuxs "Le deuxième acte" wurde das Filmfestival Cannes gestern Abend mit einer waschechten Meta-Komödie eröffnet: Der Film beginnt zunächst wie eine zähe, die Geduld des Publikums belastende Schmonzette, bevor die Schauspieler Lea Seydoux und Louis Garrel vor der Kamera gegen diese Zumutung revoltieren, gefolgt von einer Debatte "über die Sinnhaftigkeit des heutigen Filmemachens ('Leute verhungern, es ist Krieg, und wir tun auf der Leinwand so, als wäre nichts')", schreibt Maria Wiesner in der FAZ. Damit bleibe sich Dupieux "als eifriger Schüler Luis Buñuels, David Lynchs, aber auch des jüngst verstorbenen Roger Corman" treu: "Die Debatte über politische Korrektheit nimmt der knappe Neunzigminüter ebenso auf wie die Diskussion über Cancel Culture; obendrein sitzt für den Film im Film eine Künstliche Intelligenz im Regiestuhl, die jedes Abweichen der Schauspieler vom vorgegebenen Text zwar nachträglich per Digitaleingriff korrigiert, ihnen dafür aber auch umgehend die Gage kürzt."

Mehr aus Cannes: In der französischen Filmbranche, aber auch an der Croisette ist MeToo das bestimmende Gesprächsthema, berichten Andreas Busche (Tagesspiegel) und Jan Küveler (Welt). Tim Caspar Boehme war für die taz bei der Eröffnungs-Pressekonferenz. David Steinitz hat sich für die SZ mit Jurypräsidentin Greta Gerwig getroffen.

Und ansonsten: Im Filmdienst gratuliert Jens Hinrichsen George Lucas zum 80. Geburtstag. Marc Hairapetian plaudert für die FR mit dem Schauspieler Frederick Lau. Besprochen werden Nuri Bilge Ceylans "Auf trockenen Gräsern" (taz, Zeit Online), eine Ausstellung über die "Simpsons" in Dortmund (FD), die vom ZDF online gestellte Serie "Exit" (FAZ) und die Serie "The Gentlemen" (Jungle World).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 14.05.2024 - Film

Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

Ein Beitrag geteilt von Mohammad Rasoulof (@mohammad_rasoulof_official)




Der in Iran vor einer Woche zu einer achtjährigen Haftstrafe plus Peitschenhiebe verurteilte Filmemacher Mohammed Rasoulof ist aus seiner Heimat geflohen und befindet sich in Europa, melden die Agenturen. Die Reise ging offensichtlich durchs Grenzland in den iranischen Bergen, wie dem oben eingebundenen Instagram-Posting zu entnehmen ist. Im Text dazu erfahren wir Weiteres: "Wenn der geografische Iran unter den Stiefeln Eurer religiösen Tyrannei leidet, so lebt der kulturelle Iran in den Köpfen von Millionen Iranern weiter, die wegen Eurer Unterdrückung und Barbarei gezwungen waren, das Land zu verlassen." Es ist ein bitterer Abschied mit Kampfansage: "Ab heute bin ich Bewohner des kulturellen Iran. Ein grenzenloses Land, das Millionen Iraner mit alter Geschichte und Kultur in jeder Ecke der Welt gebaut haben. Und sie warten ungeduldig darauf, dich und deine Unterdrückungsmaschine in den Tiefen der Geschichte zu begraben." Die Presseagentur seines neuen Films kommt auch auf die Repressalien zu sprechen, denen er und seine Crew zuletzt ausgesetzt waren: "Bevor die Geheimdienste der Islamischen Republik über die Produktion meines Films informiert wurden, konnten einige der Schauspieler den Iran verlassen. Viele der Schauspieler und Agenten des Films befinden sich jedoch noch im Iran und werden vom Geheimdienst unter Druck gesetzt." Die Geheimdienstler "stürmten das Büro des Kameramanns, und seine gesamte Arbeitsausrüstung wurde beschlagnahmt. Sie hinderten auch den Tontechniker des Films daran, nach Kanada zu reisen. Während der Verhöre der Filmcrew forderten die Geheimdienstler sie auf, mich unter Druck zu setzen, damit ich den Film vom Festival in Cannes zurückziehe."

Das Festival in Cannes wird heute Abend eröffnet, die Filmkritiker bieten einen ersten Ausblick. Es ist ein Jahrgang unter den Eindrücken von MeToo, die jüngsten Skandale um Gérard Depardieu, Jacques Doillon und Benoît Jacquot erschüttern die französische Filmbranche, schreibt Tim Caspar Boehme in der taz. "Wie die Zeitung Le Figaro berichtet, trifft das Festival schon Vorbereitungen für zu erwartende #MeToo-Proteste im großen Stil. So hat dessen Präsidentin Iris Knobloch eigens ein Team für das Krisenmanagement angeheuert. Die Rede ist von Dutzenden Regisseuren, Schauspielern und Produzenten, denen zusätzlich öffentliche Vorwürfe wegen sexualisierter Gewalt gemacht werden könnten."

Die Gallionsfigur der Proteste ist die Schauspielerin Judith Godrèche, schreibt Andreas Busche im Tagesspiegel. Dass deren "Kurzfilm 'Moi aussi' ('Me too') nun während der Eröffnungszeremonie gezeigt werden soll, ist nicht mehr als ein Feigenblatt. Noch im vergangenen Jahr hatte sich Fremaux auf der Cannes-Pressekonferenz pikiert über die Schauspielerin Adèle Haenel geäußert, die den virulenten Sexismus in der französischen Filmbranche und in Cannes beklagte." Für Standard-Kritikerin Valerie Dirk "grenzt es nahezu an ein Wunder, dass Cannes - ein Festival, das traditionell auf l'art pour l'art und mitunter auch auf umstrittene Persönlichkeiten setzt - der MeToo-Debatte Platz einräumt. Doch vielleicht dreht sich der Mistral an der Côte d'Azur ja, seitdem mit Iris Knobloch 2022 die erste Frau an der geschäftsführenden Spitze des Festivals steht. Mit Greta Gerwig als Jurypräsidentin wurde zudem ein feministisches Statement gesetzt, auch wenn der Wettbewerb mit nur vier Regisseurinnen eine andere Sprache spricht."

Abseits dieser Debatte ist das Film-Buffet allerdings wieder reich gedeckt, Festivalleiter Fremaux hat seine internationalen Kontakte mal wieder prächtig spielen lassen: Er "und seine Kollegin Iris Knobloch ... haben einfach alle Filme bekommen, die man als Festivalmacher derzeit gerne hätte", schreibt Tobias Kniebe in der SZ. "Nach der mageren jüngsten Berlinale im Februar liest sich das diesjährige Cannes-Programm fast schon wie eine Demütigung für die deutsche Konkurrenz." FR-Kritiker Daniel Kothenschulte ist gespannt auf Francis Ford Coppolas komplett aus eigener Tasche finanzierten 120-Millionen-Dollar-Blockbuster "Megalopolis", der mit einem wuchtigen Schlussakkord das Werk des New-Hollywood-Meisters abschließen soll, und auf Filme von David Cronenberg, Yorgos Lanthimos und Paul Schrader. Valerie Dirk porträtiert für den Standard den aus Mogadischu stammenden, österreichischen Regisseur Mo Harawe, der gleich mit seinem Debütfilm nach Cannes eingeladen wurde.

Weitere Artikel: Axel Weidemann (FAZ) und Tobias Kniebe (SZ) gratulieren George Lucas zum 80. Geburtstag. Thomas Klein schreibt im Filmdienst einen Nachruf auf den Produzenten Roger Corman (weitere Nachrufe hier). Besprochen werden Nuri Bilge Ceylans "Auf trockenen Gräsern" (Standard), Angela Christliebs Dokumentation "Pandoras Vermächtnis" über G.W. Pabst (Standard), der vom ZDF online gestellte Thriller "Unsichtbarer Angreifer" (FAZ) und die zweite Staffel von "Interview with the Vampire" (Tsp).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 13.05.2024 - Film

Die Filmkritiker trauern um Roger Corman, der im gesegneten Alter von 98 Jahren (und bis zuletzt in seinem Beruf aktiv) den Hut genommen hat. Der Produzent hunderter, mitunter immens ertragreicher Low-Budget-Filme (den Begriff "B-Movies" lehnte er aus filmhistorischen Gründen ab) hat die Filmgeschichte vielleicht wie kein Zweiter geprägt: Er gab den wichtigsten Regisseuren von New Hollywood einst erste Jobs und damit Starthilfe, auch Peter Fonda und Jack Nicholson lernten bei ihm ihr Handwerk. "Jeder mittellose Kinoträumer, der für ein paar Dollar mit anpacken wollte", war ihm willkommen, schreibt Tobias Kniebe in der SZ. "Oft sah man das Handgemachte, Gummimaskierte, Amateurhafte. Manchmal aber auch genialisches Können. Wer am ersten Tag so fahrlässig war, gute Ideen zu äußern, schrieb am zweiten vielleicht schon das Drehbuch um und führte am dritten Tag Regie. So kamen Francis Ford Coppola, Peter Fonda, Jonathan Demme, Gale Anne Hurd, Dennis Hopper, Peter Bogdanovich, Curtis Hanson, John Sayles und Talia Shire - und gingen durch seine harte Schule."

Corman "begriff B-Movies als ästhetischen Freiraum", schreibt Ekkehard Knörer in der taz. "Wo nicht viel Geld im Spiel ist, ist mancherlei möglich. Die Prämisse war trotz Nudity, Gewalt und schneller Kicks gerade das Gegenteil der Verachtung von Kunst: Noch und gerade im Billigen, Schnellen, Schmutzigen kann man eigensinnigen Leuten Freiheiten lassen und falsche Rücksichten auf den guten Geschmack hinter sich." Ein hemdsärmeliger Draufgänger war er aber nicht, erinnert sich Daniel Kothenschulte in der FR: "Wer ihn traf, erlebte das denkbare Gegenstück vom Klischee eines Filmproduzenten. Corman war ein gebildeter Gentleman, der mit sanfter Stimme über die Farbgestaltung seiner selbst inszenierten Edgar-Allan-Poe-Verfilmungen mit Vincent Price plaudern konnte. Mit seinem Verleih brachte er in den Siebzigern Werke von Fellini, Kurosawa oder Schlöndorffs 'Katharina Blum' in amerikanische Kinos." Weitere Nachrufe schreiben Bert Rebhandl (FAZ), Daniela Sannwald (Welt) und Pamela Jahn (NZZ).

Einen seiner letzten öffentlichen Auftritt hatte Corman, körperlich schon sichtlich gebrechlich, aber geistig noch hellwach, vor einem halben Jahr in einem Youtube-Video, für das er sich durch das Archiv des US-BluRay-Labels Criterion wühlt:



Außerdem: Sissy Rabl beschäftigt sich für die Presse mit der Kostümausstattung der Serie "Bridgerton", die eher auf Pomp als auf historische Authentizität Wert legt. Besprochen werden Oskar Roehlers "Bad Director" (taz, mehr dazu bereits hier) und Wes Balls' neuer "Planet der Affen"-Film (NZZ).