Efeu - Die Kulturrundschau - Archiv

Bühne

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Efeu - Die Kulturrundschau vom 27.05.2024 - Bühne

Szene aus "Die Gehaltserhöhung" am Deutschen Theater Berlin. Foto: Eike Walkenhorst.

"Gott ist ein DJ, und er heißt Fräulein Jolande" - so könnte für nachtkritikerin Sophie Diesselhorst das Motto von Anita Vulesicas Inszenierung von Georges Perecs absurder Komödie "Die Gehaltserhöhung" lauten, die sie am Deutschen Theater Berlin gesehen hat. Es geht um den Wahnsinn in einer entfremdeten Arbeitswelt, den ein Angestellter zu spüren bekommt, als er versucht bei seinem Chef um die titelgebende Erhöhung seines Lohns zu bitten - immer und immer wieder vergeblich. Zwar findet die Kritikerin den Abend ein bisschen "harmlos" geraten, sie freut sich allerdings trotzdem sehr über die  Performance des Theatermusikers Ingo Günther, der als Sekretärin Fräulein Jolande brilliert: Die "stellt sicher, dass es immer weitergeht und niemand aussteigt und hebt sogar einmal gezielt die Moral, wenn sie hinter ihrem Tisch hervorkommt, (per Playback) ein bisschen mit hoher Frauenstimme scattet und dazu dezent tänzelt. ... Hinter dem Empfangstresen, um den zu den Szenen-Umbrüchen eine zylindrische Wand niedergeht, als säße Frau Jolande in einer Zentrifuge, steht eine Wand aus orangenem Plexiglas. Aus zwei Türen an den beiden Seiten quellen die sechs Schauspieler heraus, die zusammen den Angestellten spielen." Tagesspiegel-Kritiker Patrick Wildermann attestiert Vulesica "ein tolles Gespür für den Wahnwitz und die niederschmetternde Komik der Vorlage."

Weitere Artikel: Für die taz unterhält sich Astrid Kaminski mit den KuratorInnen des "Tanzpol-Festivals", das Kunstschaffenden mit Repressions- und Migrationserfahrungen eine Bühne bietet. Tagesspiegel-Kritiker Rüdiger Schaper hat Samuel Finzis Auftritt in "Der Kaufmann von Venedig" am Nationaltheater Sofia besucht. Die Berliner Zeitung meldet mit dpa, dass Sivan Ben Yishai den Mülheimer Dramatikpreis gewonnen hat.

Besprochen werden Dominique Schnizers Inszenierung von Nis-Momme Stockmanns Komödie "Singularis. Von unserem unbedingten Streben nach Einsamkeit" am Deutschen Theater Göttingen (nachtkritik), die konzertante Aufführung von Peter Cornelius' Oper "Gunlöd" am Staatstheater Mainz unter musikalischer Leitung von Hermann Bäumer (FR), Mattia Russos und Antonio de Rosas Tanzstück "Kafka" am Staatstheater Wiesbaden (FR), Charlie Hübners Solo "Late Night Hamlet" am Deutschen Schauspielhaus Hamburg (SZ), Philipp Westerbarkeis Inszenierung des Musiktheaterstück "Michael Kohlhaas" nach Heinrich von Kleist am Theater Regensburg (nmz), David Böschs Inszenierung von Simon Stephens' Stück "Maria" am Staatstheater Nürnberg (SZ) und Jan Bosses Inszenierung von Choderlos de Laclos' Briefroman "Gefährliche Liebschaften" am St. Pauli Theater in Hamburg (taz).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 25.05.2024 - Bühne

Viermal Emilie du Chatelet in der Mainzer Inszenierung von Kaija Saariahos Oper "Emilie". Foto: Andreas Etter


2010 erlebte "Emilie" ihre Uraufführung, eine Oper der finnischen Komponistin Kaija Saariaho, die der französischen Mathematikerin, Physikerin und Philosophin Émilie du Châtelet (1706-1749) ein Denkmal setzte. Am Mainzer Staatstheater erlebte die Oper jetzt ihre deutsche Erstaufführung. Dafür teilte GMD Hermann Bäumer die Titelrolle auf vier Personen auf, die Regisseur und Bühnenbildner Immo Karaman auf vier gleichförmige Bühnenräume" verteilte - eine Idee, die nmz-Kritiker Andreas Hauff, der sehr gern zugehört hat, nur bedingt einleuchtet: "Ob die Unterschiede und Wechsel zwischen den Darstellerinnen und in der Beleuchtung eher zufällig sind oder sich mit einer Interpretationsabsicht verbinden, ist schwer zu sagen, da sich die parallel laufende Übertitelung des originalen Textes (französisch mit englischen Einsprengseln) an der Seite wegen des helleren Lichts von der Bühne nur sehr mühsam verfolgen lässt. Und während die historische Émilie du Châtelet zeit- und geschlechtertypische Grenzen sprengte, wirkt sie auf der Mainzer Bühne gleich vierfach wie in einen Käfig eingesperrt." Kaija Saariahos "sich beständig verändernder Klangteppich" hat Hauff jedoch genossen: "Es entsteht eine lyrische Grundstimmung mit vorsichtig dosierten dramatischen Momenten, die zugleich eine beachtliche Beharrlichkeit ausstrahlt."

Weiteres: Lene Grösch wird neue Schauspieldirektorin am Staatstheater Nürnberg, meldet die FAZ. Besprochen werden Charlie Hübners Solo "Late Night Hamlet" am Deutschen Schauspielhaus Hamburg (nachtkritik), David Böschs Inszenierung von Simon Stephens' Sozialdrama "Maria" am Staatstheater Nürnberg (nachtkritik), Rebekka Davids "Elektra, wir müssen reden" am Staatstheater Braunschweig (nachtkritik) und Wolfgang Menardis Inszenierung von Joël Pommerats "Ich zittere (1 und 2)" am Theater Oberhausen (nachtkritik).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 24.05.2024 - Bühne

Jakob Hayner ist in der Welt positiv überrascht vom Ausgang des Berliner Theatertreffens: "Hat es so etwas beim Theatertreffen schon einmal gegeben? Mit einhelligem Lob wurde die Auswahl der Jury in der Berichterstattung begrüßt, die üblichen Kontroversen blieben aus. Auch sonst blieb das Theatertreffen in seiner 61. Ausgabe von pseudo-politischen Peinlichkeiten verschont, die man bei anderen Kulturveranstaltungen wie der Berlinale und auch den Oscars zuletzt beobachten konnte. Und nach dem 'Publikumsschwund' in den Vorjahren sind nun auch die Zuschauer wieder zurück." Dass die Leiterin Nora Hertlein-Hull sich fast schwer getan hat, nur zehn Inszenierungen einzuladen, ist "eine erfreuliche Nachricht, die von der Lebendigkeit des Theaters zeugt. Tatsächlich bildet die Auswahl unterschiedliche Theatersprachen ab, die in ihrer Eigenheit jeweils eine große künstlerische Komplexität aufweisen - von der Stückentwicklung über die Performance und Immersion bis zur Klassikerbefragung. Was in der diesjährigen Auswahl nicht auftaucht, sind bemühte Thesenstücke oder Authentizitätshuberei."

In Berlin findet seit gestern zum zweiten Mal das Tanzpol-Festival statt, organisiert von Ashkhan Afsharian und Johanna Kasperowitsch, das sich der schwierigen Situation der iranischen Tanzkunst im Exil widmet, berichtet Sandra Luzina im Tagesspiegel: "Das Tanzpol-Festival will Sichtbarkeit für die Exil-iranische Tanzszene schaffen. Ursprünglich habe die Idee bestanden, mit dem Festival auch Tanzschaffende im Iran zu unterstützen. Doch das sei derzeit unmöglich, sagt Afhsarian. 'Seit 2020 gibt es keine Tanzszene im Sinne einer gut vernetzten Community mehr. Es wird immer schlimmer. Solange diese Regierung an der Macht ist, gibt es keine Hoffnung.'"

Weitere Artikel: Für die FAZ besucht Andreas Rossmann die Eröffnung der neuen Saison des Griechischen Theaters im italienischen Syrakus. Paul Currans Inszenierung von Euripides' "Fedra" zieht er Luca Michelettis Inszenierung von Sophokles' "Ajax" vor: Curran "entwickelt eine klare, gradlinige Inszenierung, die auf die zeitgemäße Neuübersetzung von Nicola Crocetti baut und sie rhetorisch ausfeilt." Im Interview mit Zeit Online darf der Choreograf Marco Goecke sich dazu auslassen, warum er sich trotz seiner Hundekot-Attacke auf eine Journalistin, die eine seiner Inszenierungen kritisiert hatte (unsere Resümees), als uneitler Künstler und geeignete Führungskraft versteht, die ab Sommer 2025 Ballettchef in Basel wird. Francois-Xavier Roth, Generalmusikdirektor der Stadt Köln, soll Kolleginnen sexuell belästigt haben, melden SZ und FAZ. Die SZ gratuliert dem aktionstheater ensemble zum 35. Geburtstag.

Besprochen werden "Codes of Conduct" von der Tanzkompanie NDT am Wiesbadener Staatstheater (FR), "Faust" an der Staatsoper Wien (Standard) und das Festival "Mitten am Rand" als Kooperation zwischen Alter Oper und Jüdischem Museum Frankfurt (FAZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 23.05.2024 - Bühne

Szene aus "Ein Sommernachtstraum"

FAZ-Kritiker Patrick Bahners ist vom ersten Moment an fasziniert von Jan Bosses Inszenierung von Shakespeares "Ein Sommernachtstraum" am Schauspiel Köln. Der zauberhafte Wald ist hier schon abgeholzt, tote Baumstämme stapeln sich auf der Bühne: "Jetzt könnte man einen gewaltigen Schreck bekommen und geloben, nachher zu Hause gleich eine Spende an die Letzte Generation zu überweisen. Stattdessen bestaunt man den Theatereffekt, den nonchalanten Aufwand des Aufschichtens der starken Scheite, und ist sofort verzaubert von der unheimlich idyllischen Stimmung. Das Waldsterben ist vollendet und daher angehalten. Die Zeit steht still. Doch nein, sie bewegt sich unmerklich, sacht, wiegend, auf Feenzehenspitzen. ... Rechts vorne auf der Bühne sitzt Puck und singt in Endlosschleife ein Auftrittslied."

Die Feuilletons melden: Marco Goecke wird neuer Ballettchef am Theater Basel. Goecke, der seinen Posten am Staatsballett Hannover wegen der "Hundekot-Attacke" (unsere Resümees) auf eine Kritikerin verlor, hat jetzt eine zweite Chance verdient, meint Dorion Weickmann in der SZ. Im Tagesspiegel beklagt Rüdiger Schaper, dass die angestoßene Debatte über das Verhältnis von Kunst und Kritiker schnell versandet ist.

Weiteres: Ingrid Gilcher-Holtey erinnert in der FAZ an eine legendäre Aufführung von Bertolt Brechts "Mutter Courage" in Paris im Jahr 1954, mit der Brecht den "größten Erfolg seit Ende der Weimarer Republik" feierte. Besprochen werden Milo Raus Inszenierung der Mozart-Oper "La Clemenza di Tito" bei den Wiener Festwochen (nachtkritik) und Immo Karamans Inszenierung von Kaija Saariahos Oper "Emilie" am Staatstheater Mainz (nmz).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 22.05.2024 - Bühne

Auf Backstageclassical spricht Axel Brüggemann mit dem Vorsitzenden der Konferenz der Generalmusikdirektoren Marcus Bosch über die mangelnde Rücksicht von Intendanten gegenüber Dirigenten. In der taz gratuliert Katrin Bettina Müller dem Theaterhaus Jena zu gleich zwei Preisen des Theatertreffens für das Stück "Die Hundekot-Attacke".

Besprochen werden Kornél Mundruczós Inszenierung der Puccini-Oper "Tosca" an der Bayerischen Staatsoper, die den SZ-Kritiker Helmut Mauro letztlich dank einer brillanten Eleonora Buratto in der Titelrolle überzeugt, Viktor Bodos Dramatisierung von Kafkas Roman "Amerika" am Schauspiel Stuttgart (FR), Nora Schlockers und Alexander Eisenachs Inszenierung der "Maria Stuart" am Münchner Residenztheater (FAZ) und Evgeny Titovs Inszenierung von Monteverdis "L'Orfeo" am Zürcher Opernhaus (NZZ).
Stichwörter: Theaterhaus Jena

Efeu - Die Kulturrundschau vom 21.05.2024 - Bühne

Szene aus "Maria Stuart" am Müncher Residenztheater. Foto: Sandra Then.

Ziemlich klug findet nachtkritiker Martin Jost, was Nora Schlocker aus Schillers Königinnen-Drama "Maria Stuart" am Residenztheater in München gemacht hat: Hier haben nämlich beide Schauspielerinnen beide Rollen gelernt und jeden Abend wird neu ausgelost, wer wen spielt. Damit kehrt die Regisseurin für Jost heraus, wie ähnlich sich die Feindinnnen eigentlich sind: "Das Spiel der beiden Hauptfiguren ist exzentrisch. Von den fünf Männerrollen, die einen manierierten Höflings-Habitus pflegen, unterscheiden die Königinnen sich deutlich. Stieglers Maria Stuart ringt mit ihrem Körper um Kontrolle wie eine Marionette im Freiheitskampf. Ihr Gesicht zeigt Grimassen, als hätte sie ein verdorbenes Stück Luft abgebissen. Elisabeths Bewegungen spiegeln diejenigen Marias, aber in dem breiten Reifrock, den sie mittlerweile trägt, wirken sie viel gefährlicher für die Umstehenden. Nur in Elisabeths schwachen Momenten hält ihr Kronrat sie wie eine Puppe (Choreografie und Körperarbeit: Sabina Perry)." Auch SZ-Kritiker Egbert Tholl findet das Konzept brillant, leider führt eine kluge Idee "nicht zwangsläufig zu einem sinnlich aufregenden Erlebnis": Das Ganze ist ihm zu "spröde" geraten, das exzentrische Spiel der Königinnen überdeckt häufiger die Nuancen des Textes, bemängelt er.

Weitere Artikel: Das Berliner Theatertreffen ist zu Ende - die Kritiker resümieren: In der SZ ist Peter Laudenbach erleichtert, dass das Festival dieses Jahr "halbwegs unfallfrei" ablief, nur die neue Leiterin Nora Hertlein-Hull hat sich ein bisschen blamiert, findet er, in dem sie die Klimaaktivistin Luisa Neubauer eingeladen hat - dafür nicht einen einzigen Theaterschaffenden aus dem Osten. Im Tagesspiegel ist Rüdiger Schaper sehr zufrieden mit der diesjährigen Auswahl: Besonders das Solo-Stück "Laios" mit Lina Beckmann hat es ihm angetan. Den Alfred-Kerr-Darstellerpreis hat dieses Jahr der Schauspieler Nikita Buldyrski gewonnen - der Tagesspiegel druckt die Laudation von Ursina Lardi.

Außerdem: In der Welt freut sich Manuel Brug, dass es mittlerweile immer mehr Operproduktionen von Frauen gibt und porträtiert die Regisseurin Ilaria Lanzino. Besprochen werden Laura Linnenmanns Adaption von Fjodor Dostojewskis Roman "Die Brüder Karamasow" am Schauspiel Frankfurt (nachtkritik, FAZ, FR), Wilke Weermanns Adaption von Sybille Bergs Roman "RCE. #RemoteCodeExecution" am Theater Münster (nachtkritik), Nora Schlockers Inszenierung von Schillers "Maria Stuart" am Münchner Residenztheater (nachtkritik, SZ), Jan Bosses Inszenierung von Shakespears Stück "Ein Sommernachtstraum" am Schauspiel Köln (nachtkritik), Viktor Bodós Adaption von Kafkas Romanfragment "Amerika" am Schauspiel Stuttgart (nachtkritik), Markus Dietzes Inszenierung des Stücks "Nach Peer Gynt" mit Motiven von Henrik Ibsens Drama am Theater Koblenz (nachtkritik), Tim Etchells Stück "L'addition/Die Rechnung" bei den Wiener Festwochen (nachtkritik), Robert Schusters Inszenierung von "Dibbuk - zwischen (zwei) Welten" nach dem Stück von Salomon An-Ski bei den Ruhrfestspielen (nachtkritik), Felix Rothenhäuslers Inszenierung von Goethes "Faust" am Theater Bremen (nachtkritik), das "Theaterspektakel" "Bau auf! Bau ab" im Humboldt Forum Berlin (taz), die Solo-Choreografie für Tänzer im Rollstuhl "an Accident / a Life" von Mark Brew und Sidi Larbi Cherkaoui beim Schweizer Tanzfestival "Steps" in Basel (FAZ) und Robert Carsens Inszenierung der Mozart-Oper "La Clemenza di Tito" bei den Salzburger Pfingstfestspielen (SZ, NZZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 18.05.2024 - Bühne

Szene aus "Der zerbrochne Krug" am Münchner Volkstheater. Foto: Arno Declair.

Gespannt verfolgt Nachtkritikerin Sabine Leucht Mathias Spaans Inszenierung von Kleists "Der zerbrochne Krug" am Münchner Volkstheater: Der hat den "Kleist-Krimi" als MeToo-Stück inszeniert, so Leucht: die junge Eve Rull wurde vom Dorfrichter Adam sexuell bedrängt, vor Gericht glaubt man ihr nicht: "Einmal ist Eve alleine im Saal, alle Stimmen umschwirren sie von fern. Als sie endlich aussagt, aus-schreit - 'Der Richter war's!' - ruhen kurz alle Augen auf ihr. Dann macht sich Adam ins Ungefähre davon, der Gerichtsrat brabbelt etwas von 'sozialen Netzwerken', 'haltlosen Vorwürfen' und 'moralisierender Verfolgungsmentalität'. Bei ihm und dem Schreiber Licht - Steffen Link als Korinthenkacker mit Anflügen von wahnsinns-nahem Übereifer - hat ein Automatismus übernommen. Man sieht sie förmlich an ihren Verteidigungsreden tüfteln und die Karrierestufen hochfallen. Mit ihnen darin bewegt sich das gesamte Bühnenbild langsam von Anne Stein weg, die an der Rampe zurückbleibt. Ein tolles Schlussbild, in dem schon alles drin ist." Manches ist hier ein bisschen "überdeutlich" geraten, findet Leucht, insgesamt aber ein toller Theaterabend!

Christiane Lutz ist in der SZ voll des Lobes: "Der Abend hat Wucht. Weil Mathias Spaan eine rasante Textfassung geschrieben hat und nicht schon mit hochgezogener moralischer Augenbraue antritt, sondern das durchaus lustvolle, fast naturalistische Spiel sich langsam entwickeln lässt."

Weiteres: Die SZ druckt Elfriede Jelineks Rede zur Eröffnung der Wiener Festwochen. Jakob Hayner stattet für die Welt dem Schauspieler Charly Hübner einen Besuch ab, dessen Solo-Version von "Hamlet" bald in Hamburg auf die Bühne kommt. Im Tagesspiegel-Interview unterhält sich der Schauspieler Jens Harzer mit Christine Wahl über seine Zukunft am Berliner Ensemble.

Besprochen werden Marie Schwesingers Inszenierung ihres Dokumentar-Theaterstücks "Innere Sicherheit" am Theater Landungsbrücken (FR), Stefan Schneiders Inszenierung von Hadrien Raccahs Stück "Die Einladung" an der Komödie Frankfurt (FR), Laurence Dales Inszenierung des Händel-Pasticcios "Sarrasine" bei den Händel-Festspielen in Göttingen (Welt) und Giovanni Scandellas Inszenierung der Puccini-Oper "Tosca" am Staatstheater Wiesbaden (FAZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 17.05.2024 - Bühne

"Rheingold" in Dortmund. Foto: Thomas M. Jauck.

In "unorthodoxer Reihenfolge" hat Regisseur Peter Konwitschny Wagners "Ring" an der Oper Dortmund aufgeführt, nun setzt er mit dem eigentlichen Vorspiel "Rheingold" zum dritten Teil an - ein voller Erfolg, ruft Manuel Brug beglückt in der Welt. Konwitschny sei hier wieder zu Hochform aufgelaufen: "In Dortmund ist jeder Tetralogie-Teil sein eigener 'Ring'-Kosmos, eingebettet in Symposien sowie begleitende, zeitlich oder inhaltlich passende Opern. Eine wohltuend separierte, bescheiden-konzentrierte Erzählhaltung - gerade nach all den aktuell mehr oder weniger ratlosen, verquasten oder unterkomplexen Prestigedeutungen von Berlin bis Bayreuth, Brüssel bis London. Man kann sich also schon mal den Mai 2025 vormerken, wenn der dann 80-jährige Peter Konwitschny seine 25 Jahre junge 'Götterdämmerung' noch einmal aufleben lässt und dieser Pott-'Ring' sein vermutlich famoses Ende finden wird. Zum vierten Mal."

Laura Linnenbaum bringt am Schauspiel Frankfurt Dostojewskis "Die Brüder Karamasow" auf die Bühne - doch alle Rollen sind mit Frauen besetzt. Im Interview mit der FR erklärt Linnenbaum ihre geschlechtliche Perspektivierung:  "Das Patriarchat wird in diesem Roman bereits angezählt. Mit dem Vatermord, aber auch mit der Frage, ob es Gott gibt oder nicht. Auch der Landadel ist angezählt, das Patriarchat stirbt auf mehreren Ebenen. Dazu kommen die großen Fragen: Warum ist das Schlechte in der Welt, was ist der Mensch? Ich hatte die Vorstellung, das müsste heutzutage unbedingt einmal aus Frauenmund erzählt werden, um zu sehen, wie dieser Perspektivwechsel wirkt." Dabei spielt auch die eigene Erfahrung der Regisseurin als Frau im Theaterbetrieb eine Rolle: "Aus meiner Arbeitserfahrung heraus würde ich sagen, dass es immer noch eine Hürde ist zu beweisen, dass man seinen Job kann. Das läuft ganz unterbewusst ab bei den Leuten. Ich erinnere mich an eine Kantinenszene, als ich hier als Assistentin war. Ein Tisch Produktion mit einem Regisseur, ein Tisch Produktion mit einer Regisseurin. Alle waren wild am Diskutieren. Am Frauentisch: Jeden Tag ist alles anders, die weiß nicht, was sie will. Am Männertisch: Jeden Tag ist alles anders, keine Ahnung, wir checken es noch nicht, aber es ist so geil."

Der Vertrag von Sibylle Broll-Pape, Intendantin am E.T.A.-Hoffmann-Theater in Bamberg, wird nicht verlängert - weil sie eine ältere Frau ist? Das zumindest fragt sich Christine Dössel in der SZ: "Broll-Papes Ansicht, dass der Respekt vor dem Alter, vor allem vor alten Frauen, abgenommen habe, lässt sich schwer belegen. Aber dass sie kein einziges Folgeangebot als Regisseurin hat, ist Fakt. Sie würde in den nächsten Jahren schon gerne noch ein bisschen im Theater mitmischen, so wie das ja auch ihre männlichen Kollegen im Rentenalter tun. (…) Für Frauen gibt es solche Angebote selten. Broll-Pape weiß auch, warum: 'Weil Alter bei Männern keine Rolle spielt, bei Frauen aber schon.' Dabei ist doch im Theater die Zeit der Frauen angebrochen, oder etwa nicht? Es gibt immer mehr Intendantinnen, weibliche Leitungsteams, Regisseurinnen. An den Häusern wird Geschlechtergerechtigkeit eingefordert. Nur: Alte Frauen sind damit eher nicht gemeint. Junge Frauen sind jetzt zwar öfter in Leitungspositionen, aber sie holen auch wieder nur junge Frauen - und vor allem: Männer."

Weiteres: Lolita Lax und Jean Peters erhalten den Jürgen Bansemer und Ute Nyssen-Dramatikerpreis, meldet die FAZ. Die NZZ bespricht das Berliner Theatertreffen nach. Nach dem Tod von René Pollesch soll für die Volksbühne eine Interimslösung her, berichtet die Berliner Zeitung. Die Nachtkritik blickt anlässlich der Ruhrfestspiele nach Recklinghausen.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 16.05.2024 - Bühne

Der Antisemitismusbegriff werde von rechts entleert, wehrt sich Milo Rau, Intendant der morgen beginnenden Wiener Festwochen, im Zeit-Gespräch gegen den Vorwurf, er würde mit der Einladung von Omri Boehm und Annie Ernaux Antisemiten unterstützen. Bei den Festwochen, bei denen er eine Räterepublik ausrufen will, verspricht er nicht weniger als eine "Revolution": "Ich glaube, die Zivilgesellschaft muss sich wieder zum Souverän erklären und die parlamentarische Demokratie mit neuem Leben füllen. Hundert Räte sind es insgesamt, zwanzig internationale wie Annie Ernaux, Elfriede Jelinek oder Sandra Hüller, elf Vertreter lokaler Partnerorganisationen und 69 Menschen aus den 23 Wiener Bezirken. Durch alle politischen Lager und Gruppen. Die Idee ist es, eine Wiener Erklärung zu entwickeln. Eigentlich geht es um die Frage, wie man aus der Zivilgesellschaft heraus eine Neugründung der Demokratie erreichen kann."

Katharina Wagner bleibt bis 2030 künstlerische Leiterin der Bayreuther Festspiele, ab 2025 bekommt sie einen "General Manager" an die Seite gestellt, der für die Haftung für Bau und Betrieb zuständig ist. In der FAZ ist Jan Brachmann gespannt, wer den "undankbaren" Job übernehmen will, denn: "Demnächst steht die Generalsanierung des Festspielhauses an. Geschätzte Kosten: 210 Millionen Euro. Wagner wollte sich, neben der künstlerischen Arbeit, die Last der Mithaftung dafür nicht auch noch zumuten. ... Stattdessen bekommt Wagner von 2025 an ein eigenes künstlerisches Budget und innerhalb dessen volle Vertragshoheit. (…) Die Verantwortung des General Managers umfasst damit den gesamten Bereich von Verwaltung, Technik und Bau, von Kundenbetreuung und Kartenvertrieb, eine wenig dankbare, aber dafür sehr große Aufgabe, weil er oder sie nicht nur juristische, buchhalterische, kaufmännische und technische Kompetenz mitbringen muss, sondern eben auch Verständnis für die künstlerischen Arbeitsprozesse an einem Opernhaus."

Weitere Artikel: Die Schauspielerin Ursina Lardi wird den Alfred-Kerr-Darstellerpreis beim Berliner Theatertreffen verleihen, meldet Rüdiger Schaper im Tagesspiegel. In der SZ porträtiert Egbert Tholl das Theaterhaus Jena, das im Kollektiv geleitet wird und nun mit dem Stück "Die Hundekot-Attacke" zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde. Auch das Van-Magazin widmet sich dem Theaterhaus Jena, das auch durch familienfreundliche Arbeitsbedingungen überzeugt. Ebenfalls im Van-Interview spricht Calixto Bieito, der derzeit für seine neue Produktion von Verdis "I Vespri Siciliani" am Opernhaus Zürich probt, über den Unterschied zwischen Kunst und Kultur und die Arbeit an der Metropolitan Opera. In der Berliner Zeitung porträtiert Michaela Schlangenwerth den Choreografen Christoph Winkler, dessen Stück "Four non Blondes" in den Berliner Sophiensälen Premiere feiert.

Besprochen werden Manuel Neukirchners Fußballdrama "Die Nacht von Sevilla" bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen (SZ) und Karin Beiers Inszenierung "Laios" beim Theatertreffen (nachtkritik).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 15.05.2024 - Bühne

"Sonne/Luft" am Schauspiel Stuttgart, Foto: Björn Klein

Das Schauspiel Stuttgart bringt ein Elfriede-Jelinek-Stück zum Klimawandel auf die Bühne. Adrienne Braun ist in der SZ äußerst angetan von "Sonne/Luft": "Die Sonne wird von Katharina Hauter gespielt, deren Gesicht ausschaut wie Sonnenbrand, den sich Urlauber beim Rösten in ihren 'Flammen' holen. Jelinek verknüpft die Klimakatastrophe unmittelbar mit den Flüchtlingsströmen, die an Zäunen 'mit einer schicken Frisur aus Nato-Draht' abprallen. So lapidar sie ihre Wortspiele aneinanderreiht, knüpft sie doch ein kluges Netz voller Querbezüge, als wolle sie einem zwingen, neue Verknüpfungen vorzunehmen, damit die böse Wahrheit nicht länger auf routinierten Denkpfaden verhallt." Deutlich weniger glücklich wird Braun hingegen mit Oliver Frljićs gleichfalls in Stuttgart gegebener Bühnenfassung von George Orwells "Animal Farm" ("inszeniert plakativ die Konfrontation von Masse und Macht").

Außerdem: Margarete Affenzeller blickt im Standard voraus auf die Wiener Festwochen und stellt Überlegungen zur Politisierung von Festivals an. Die nachtkritik blogt weiter vom Berliner Theatertreffen. Manuel Burg freut sich in der Welt darüber, dass Katharina Wagner fünf weitere Jahre lang Leiterin der Bayreuther Festspiele bleibt.

Besprochen werden Gluck- und Mozart-Opernaufführungen auf den Gluck-Festspielen in Bayreuth (FAZ), die Georg-Kreisler-Soiree "Heute leider Konzert!" am Schauspiel Frankfurt (taz), das Stück "Kinder der Zeit / Dzieci Epoki" am Emma-Theater, Osnabrück (taz Nord), eine "Othello"-Inszenierung an der Wiener Staatsoper (Standard) und Mozarts "La Clemenza di Tito" an der Staatsoper Hamburg (nmz)