16.01.2008. Aktualisiert am 27. Januar. Die Zeit bedankt sich bei der FAZ, das Weblog Indiskretion Ehrensache fragt sich, warum gerade Journalisten die Meinungsfreiheit einschränken wollen, die NZZ wundert sich. Neueste Entwicklungen im Streit um Jens Jessen Spießer-Videoblog, die Punktuelle-Totschlags-Antwort Frank Schirrmachers und die Urheberrechtsverletzung der Bild-Zeitung.
Aktualisierung vom 27. JanuarVon einer generellen Kontrolle des Internets will Alan Posener in der
Welt nichts wissen, auch nicht angesichts beleidigender Leserkommentare: "So unangenehm die Kampfhund-Gesichter der Blog-Kommentatoren auch erscheinen mögen - am Ende müssen Journalisten und Publizisten in ihnen das eigene, zur Kenntlichkeit verzerrte Spiegelbild erkennen."
Aktualisierung vom 25. JanuarIm bislang besten Kommentar zur Sache
wundert sich Heribert Seifert in der
NZZ, "wie hemmungslos ein paar Medienmenschen ihre eigenen
Schrullen und selbst noch ihre Fehlleistungen zu einem öffentlichen Ereignis machen".
Aktualisierung vom 24. Januar In der
NZZ fragt Joachim Güntner, wann man eigentlich ein Spießer
ist.
Aktualisierung vom 23. JanuarSchirrmacher
in der
FAZ, Wagner
in der
Bild-Zeitung, Schmid
in der
Welt - auf der Meinungsseite der
taz macht Albrecht von Lucke, Redakteur bei
Blätter für deutsche und internationale Politik die Konstruktion einer neuen 'Deutschfeindlichkeit' in deutschen Zeitungen aus.
Ebenfalls in der
taz beschreibt die Scientology-Expertin Ursula Cabert
a (
mehr hier) die Europa-Strategie von Scientology und Tom Cruise.
Mit Populismus lassen sich die Probleme der Jugendlichen mit Migrationshintergrund nicht lösen,
meint Seyran Ates in
Spiegel online.
Thomas Klüwer
wundert sich in seinem Weblog
Indiskretion Ehrensache mit Blick auf Christian Geyers Kommentar in der
FAZ, "wie sehr derzeit gewisse Zeitungen, deren Existenz allein auf der Meinungsfreiheit fußt, für die Einschränkung der selben einstehen".
Zeit-Redakteur Jörg Lau
bedankt sich bei dem "Kollegen Christian Geyer".
Aktualisierung vom 22. Januar FAZ und
Bild als Auslöser - oder vielmehr Brandbeschleuniger - von rabiaten Leserattacken gegen Jens Jessen? Iwo. Es geht doch nicht um die eigene Verantwortung! Für
FAZ-Redakteur Christian Geyer
zeigt sich in den Kommentaren zu Jessens Spießer-Video nur, dass man diese Leser, die nur "begierig (sind), sich selbst irgendwo gedruckt zu sehen", keinesfalls unkontrolliert lassen darf: "Anhand der unfassbaren Reaktionen auf Jens Jessen zeigt sich, wie recht jene haben, die warnend auf die völlige Unkontrolliertheit von Internet und Blogs hinweisen". (Der Kommentar von Geyer steht morgen in der Print-Ausgabe).
Aktualisierung vom 21. JanuarJens Jessen
bekennt im
Deutschlandradio, sein Videoblog sei als "sarkastische Überspitzung" gemeint gewesen: "Und das ist natürlich das Interessante, das so zu sehen, dass so etwas, was für einen gebildetes Publikum in einer gedruckten Zeitung oder zum Beispiel in ihrem geschätzten Sender funktioniert, dann im Internet nicht funktioniert, weil man zu Leuten spricht, die diese Tradition der überspitzten Erwiderung überhaupt nicht kennen."
Dazu ein
Leser in der Zeit: "Ist natürlich hart, wenn Berufsschreiber das Monopol die Deutungshoheit an Leser abgeben müssen. Wenn Kulturchefs der Zeit nicht mit der Sprache ungehen können. Wenn Berufsschreiber von oben herab auf uns Leser blicken. Wenn Medien pc gleichgeschaltet sind und Berichterstattung von Meinung verfärbt wird."
Und ein anderer
Leser meint: "... allein sein 'Erschrecken' über die Meinungsvielfalt, die das Internet ermöglicht, sein Irritiertsein darüber, dass dort keine 'Vorauswahl' der Rezipienten möglich, ferner '...das Publikum unberechenbar...' sei, und nicht zuletzt die Wut mit der er pauschal die ganze Szene überzieht und als 'rechtsradikal' zusammenfasst, zeigt doch nun unmissverständlich welche Vorstellungen er von Journalismus hegt."
In der
SZ-online ist Ruth Schneeberger entsetzt von den Reaktionen auf Jens Jessens Spießer-Videoblog. "Angefeuert durch
Bild und
FAZ, tobt nun eine Welle der Empörung in Internetforen, Blogs, und Userkommentaren. Was dort zu lesen ist, ist zuweilen justiziabel."
Hier das U-Bahn-Video. Dem am Boden liegenden Rentner wird gegen den Kopf getreten.
Aktualisierung vom 19. JanuarDirk Knipphals
blickt in der
taz auf den Erregungsjournalismus der FAZ und findet die Trennung von Qualitätsjournalismus und Blog-Öffentlichkeit eher künstlich.
Im
Spiegel hört Henryk M. Broder in Jens Jessens
Zeit-Videoblog einen vertrauten Refrain: "Nicht der Täter, das Opfer ist schuld!"
Aktualisierung vom 18. JanuarLothar Müller
prangert in der
SZ den Krawallfeuilletonismus des Kollegen Frank Schirrmacher an, der die Jugendgewalt bei Ausländern in seinem Einwurf umstandslos mit Nationalsozialismus und Stalinismus verglich. "Diese Sätze sind skandalös."
Die
FAZ bestätigt eine gestrige Meldung aus Bildblog, dass sie die
Bild-Zeitung wegen des nicht genehmigten Nachdrucks von Frank Schirrmachers
Artikel "Junge Männer auf Feindfahrt" abgemahnt hat.
Aktualisierung vom 17. JanuarEin
Leser nimmt in der Zeit Jessens Verteidigung gegen die Leser sprachlich auseinander. Da bleibt kein Auge trocken: "'die Liste dessen, was mir irrtümlich unterstellt wurde' - was Sie sagen wollten, ist, 'die Liste dessen, was mir zu Unrecht unterstellt wurde'. Nicht der Vorgang der Unterstellung war 'irrtümlich', sondern die Unterstellung selbst war, nach Ihrer Ansicht, falsch."
In der
taz teilt Jan Feddersen Jessens Vorurteil gegen den zusammengeschlagenen Rentner ganz einfach. Und Daniel Bax
spricht in einem Kommentar auf der Meinungsseite zur gleichen Sache von "konservativem Gesinnungsterror".
Die
Bild bringt Kommentare von Rentnern. Adolf Jennerwein (74) aus München: "Ich finde die Aussage von Herrn Jessen unverschämt. Man kann doch nicht alle deutschen Rentner über einen Kamm scheren. Ich bin eher der Meinung, dass die Rentner hierzulande benachteiligt sind - da sollten wir nicht noch zusätzlich derartig verhöhnt werden.'"
In der
Welt lässt Eckhard Fuhr weder Jens Jessen noch Frank Schirrmacher sehr gut wegkommen . Besonders aber kritisiert Fuhr, dass Schirrmacher die Jugendgewalt mit dem Islamismus in Verbindung bringt.
Der "Hohn, die Häme, die verbalen Gewaltandrohungen und Verwünschungen", die Jens Jessen für sein Videoblog in der Zeit einstecken musste - auf der Medienseite der
SZ wird Lothar Müller
leicht übel angesichts der Reaktionen in der Bild-Zeitung und auf der Website Politically Incorrect.
Das
Bildblog hat sich jetzt in den Schirrmacher-Jessen-Streit
eingeschaltet - mit einer überraschenden Nachricht: Da übernimmt die
Bild-Zeitung Qualitätsjournalismus, und der ist auch noch geklaut! "Bei der
FAZ ist man nicht sonderlich erfreut darüber, dass
Bild Schirrmachers Text quasi komplett nachgedruckt hat. Um
Erlaubnis gefragt habe
Bild nämlich nicht", berichtet das
Bildblog, das auch
FAZ-Geschäftsführer Roland Gerschermann zitiert. Gerschermann habe per Brief an
Bild-Chef Kai Diekmann auf die Urheberrechtsverletzug aufmerksam gemacht und verlange Unterlassung sowie Schadenersatz. Jetzt muss sich noch der ebenfalls ausgiebig zitierte
Jens Jessen bei der
Bild melden!
16. Januar Da ist selbst das
Bildblog sprachlos: Erstmals bringt die
Bild-Zeitung Qualitätsjournalismus. "Junge Männer auf Feindfahrt" überschrieb Frank Schirrmacher seine gestrige
Intervention zur Kriminalität ausländischer Jugendlicher in der
FAZ. Heute
druckt die
Bild den "dramatischen Beitrag" in Auszügen nach.
Die
Deutschen müssen damit rechnen, "punktuell totgeschlagen" zu werden, weil sie ihre Vergangenheit allzusehr bewältigten - so in etwa - falls wir recht verstehen - die gagaistische Pointe des Artikels. Oder wie soll man diesen Satz deuten: "Deutschland, das seit dem Jahre 1945 ein Gespür für Rassismen und Totalitarismen aller Art entwickelt hat, misstraut sich selbst so sehr, dass es die notwendige Integration jahrelang nicht zu leisten wagte."
Wahlkampf-Unterstützung für Roland Koch wäre nun nicht so überraschend, besonders pikant wird das Ganze aber durch den flankierenden Artikel der
Bild-Zeitung, in dem
Zeit-Kulturchef Jens Jessen für einen zweifellos ebenso gagaistischen
Videobeitrag auf
zeit.de gebasht wird. Schon Schirrmacher hatte diesen Beitrag seines ehemaligen Untergebenen attackiert. Jessen sagt da: "Man fragt sich doch, ob
dieser Rentner, der sich das Rauchen in der Münchener U-Bahn verbeten hat und damit den Auslöser gegeben hat zu einer zweifellos nicht entschuldbaren Tat, eben sicher nur in der Kette einer unendlichen Masse von Gängelungen, blöden Ermahnungen, Anquatschungen zu sehen ist, die
der Ausländer, namentlich der jugendliche, hier ständig zu erleiden hat."
Bild titelt: "Der feine Kultur-Chef der
Zeit verhöhnt verprügelten Rentner" und fragt dann, ob Jessen
Konsequenzen ziehen muss, aber Jessens jetziger Chef Giovanni di Lorenzo antwortet: "Bei der
Zeit werden Meinungen diskutiert, nicht diktiert." Franz Josef Wagner
schlägt in seiner Kolumne die Aufnahme Jessens ins Dschungelcamp des konkurrierenden Medienkonzerns
RTL vor: "Liebes Dschungelcamp, mit Jens Jessen hätten Sie einen Kandidaten, vor dem Kakerlaken, Mehlwürmer, Spinnen und
alles Glitschige auf dieser Welt Angst hätten."
Es ist nicht das erste Mal, dass die
Bild-Zeitung nachtritt, wenn Schirrmacher mit dem Finger auf einen bereits angetätschten Feind weist. Bei der
Harpprecht-
Affäre seinerzeit wurde die gleiche Machttechnik angewandt.
"Wir riskieren, die wenigen Kinder, die unsere Gesellschaft in Zeiten des demographischen Wandels hat, mit
seelischem Extremismus zu programmieren - wenn wir nicht bald eine Debatte über pornographische und kriminelle Inhalte im
Internet beginnen", sagte Schirrmacher neulich in seiner Grimm-Preisrede (
hier die
SZ-Version,
hier die
FAZ-Version). Ganz verloren schien Deutschland aber noch nicht, denn: "In Deutschland gibt es den '
Qualitätsjournalismus'."
Der ist jetzt aber punktuell totgeschlagen.
Thierry Chervel